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                                        Nekrobestien
 

                                                                                            Kapitel 1
 

                                                                                    von Stefan M. Fels
 
 
 

Mitteleuropa, Deutschland im März des Jahres 1945

Versteckt in den dichten Wäldern des Taunus lag das Loringhoven-Institut, benannt nach seinem Gründer Dr. Martin Loringhoven.
Die amerikanische Armee rückte auf Frankfurt vor, von Westen her näherte sich die Engländer, der Krieg war verloren. Im Institut herrschte ein emsiges Treiben, Männer der Waffen-SS luden Benzinfässer von den LKW ab und befestigten überall im und am Gebäude Sprengsätze. Andere verluden Akten und einige Kisten auf die LKW. Der Himmel hatte die Farbe von flüssigem Blei, es regnete in Strömen. Die erste Kolonne war schon auf dem Weg, mit den verbliebenen LKW sollten die letzten Zivilisten das Institut verlassen. In einem Büro im ersten Stock stand ein hagerer Mann mit schulterlangen weißen Haaren am Fenster und beobachtete die Soldaten. Er trug einen weißen Laborkittel und trotz der relativen Wärme im Gebäude dünne Lederhandschuhe. Es klopfte zaghaft an die Tür. Keine Reaktion. Es klopfte wieder.
„Herein.“, herrschte der Mann.
Ein untersetzter Mann in einem weißen Kittel trat ein, „Professor Loringhoven, die SS ist fertig mit den Vorbereitungen, kommen Sie bitte mit zu den Fahrzeugen.“
Loringhoven drehte sich um und nahm seine Brille ab, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch, „Wedemeyer, sind meine Frau und meine Söhne in Sicherheit?“
„Sie befinden sich bereits mit einem Flugzeug auf dem Weg nach Norwegen. Wir warten nur noch auf Sie.“
„Sind die Stollen versiegelt? Haben Sie alle Züchtungen vernichten lassen?“
„Das habe ich. Bitte kommen Sie jetzt mit, wir wollen abrücken.“
„Ich werde bleiben, Wedemeyer, ich werde dieses Labor nicht mehr verlassen.“
Wedemeyer blickte seinen Mentor ungläubig an.
Der Blick Loringhovens schien in die Ferne abzuschweifen, seine Stimme klang belegt, „Dieser Narr. Dieser wahnsinnige Hitler hat mir alles verdorben. Es würde noch Jahre dauern, die Kreaturen zu perfektionieren. Wir hätten es geschafft, wenn uns nicht dieser unsinnige Krieg dazwischen gekommen wäre. Nun müssen noch einmal 53 Jahre vergehen, bis die Sterne wieder so günstig stehen. Mein Sohn wird meine Arbeit fortsetzen, wenn er alt genug ist. Ich werde hier sterben, ich kann nichts mehr tun.“
„Aber Professor, Ihre Frau und Ihre Kinder...“
„Gehen Sie jetzt, Wedemeyer. Und sagen sie Oberschaarführer Von Minkoff, daß alle das Gebäude verlassen haben.“, Loringhoven lehnte sich zurück, seine Augen glitzerten irre.
Wedemeyer schluckte, „Ja. Jawohl, Professor. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Sohn vom Werk seines Vaters erfährt.“
Wedemeyer wandte sich um und verließ hastig das Gebäude, ein Mann in einer schwarzen Uniform trat auf ihn zu, „Sind Sie der letzte? Sind alle Zivilisten evakuiert?“
Wedemeyer nickte stumm, dann ging er weiter in Richtung der Lastwagen. Von Minkoff nickte einem seiner Soldaten zu, der in gebührendem Abstand vom Gebäude vor einem Zünder am Boden hockte. Der Mann entsicherte den Griff, dann löste er die Zündung aus. Das Loringhoven-Institut erbebte unter einer gewaltigen Explosion, das Dachgeschoß fiel in sich zusammen und der erste Stock brach ebenfalls ein. Eine Reihe weiterer Explosionen zerstörte alles innerhalb des Gebäudes, es würde dem Feind nicht mehr nützlich sein.
Rauch stieg auf und die letzten Soldaten bestiegen die LKW. Es war mit einem Mal totenstill.
Dann hallte ein grauenvolles Stöhnen über die Lichtung, daß immer höher und schriller wurde und sich schließlich zu einem irren Lachen steigerte. Ein Knistern ertönte plötzlich und weißlichblaue Blitze zuckten über die Ruinen, das Knistern wurde lauter und heller. Dann bebte die Erde, hellblaue Flammen loderten grell in den Himmel. Die Blitze griffen rasch auf die umstehenden Bäume über und näherten sich dabei auch den abfahrbereiten Fahrzeugen. Unter den Soldaten entstand Unruhe und auch Von Minkoff wollte plötzlich gar nicht mehr wissen, was in diesem verfluchten Labor erforscht worden war. Die Flammen erloschen so rasch wie sie erschienen waren und ließen die Bäume tot und verdorrt aber nicht verbrannt zurück. „Abfahrt! Los, los. Weg hier!“, befahl Von Minkoff seinen Männern und die LKW-Kolonne ruckte an. Als letztes zerstörten die Sprengladungen die Straße und ließen einige Bäume umstürzen, niemand sollte jemals wieder hierher zurückkehren.

Deutschland im Jahre 1998
Dr. Werner Loringhoven stieg aus seinem silbergrauen Mercedes-Jeep und verglich das Gelände mit seiner Karte. Er befand sich auf einem selten benutzten Feldweg, am Waldrand. Es war später Januar, das regnerische Wetter der letzten Wochen hatte auch den letzten Schnee verschwinden lassen. Loringhoven spürte die Aura der alten Kultstätte, sie konnte nicht weit weg sein. Er beugte sich in den Wagen, warf die Karte auf den Beifahrersitz und hob einen braunen Lederkoffer von der Rückbank. Er verschloß das Fahrzeug, dann betrat er den Wald. Bereits nach wenigen Metern war ein Durchkommen so gut wie unmöglich, hier war der deutsche Wald noch ein richtiger Urwald. Loringhoven starrte auf das dichte Unterholz, hier würde er schon eine Machete brauchen. Er hatte keine dabei und so entnahm er der Seitentasche seines Koffers eine Ampulle mit einer hellgrünen, blasigen Flüssigkeit. Er öffnete das bronzene Scharnier, das die Ampulle an einem Ende verschloß und spritzte etwas von der Flüssigkeit in das dichte Geäst. Die Sträucher und Äste bogen sich zurück und gaben einen Weg frei, der ständig länger wurde. Loringhoven beschritt den neu geschaffenen Pfad, der sich hinter ihm wieder schloß. Er lächelte, so kam man doch schon sehr viel besser voran. Nach einigen Minuten Fußmarsch erreichte er eine Schlucht, die Erinnerungen kehrten zurück. Er machte sich an den Abstieg, wobei er den schweren Lederkoffer mit einer Hand balancierte. Der Boden der Schlucht war weniger mit Bäumen bewachsen und durch das fehlende Licht, war auch die übrige Vegetation nicht so undurchdringlich. Loringhoven bog einige Farne beiseite und hielt inne. Da waren sie: Die Ruinen des Instituts. Ein eingestürztes Gebäude aus Stahlbeton, mit Moos bewachsen. Loringhoven untersuchte die Reste der Anlage, irgendwo mußte sich doch ein Eingang befinden. Schließlich hatte Loringhoven die Sucherei satt, er nahm wieder die Ampulle zur Hand. Es befand sich noch über die Hälfte der grünen Flüssigkeit darin. Er öffnete nochmals den Verschluß und verspritzte wieder etwas von dem Inhalt über die Ruinen. Sofort setzte wieder der Effekt ein, Moos und Strauchwerk verschwanden, nackter Beton wurde sichtbar. Loringhoven schloß die Augen und legte seine Zeigefinger an die Schläfen, er konzentrierte sich. Und dann empfing er wonach er gesucht hatte. Er öffnet seine Augen wieder, sie leuchteten leicht grünlich, und sah sich um. Zwischen zwei größeren Betonbrocken war ein blasses, flackerndes Leuchten zu sehen. Loringhoven trat näher, er wischte mit den Händen etwas Laub zur Seite. Ja, da war ein Einstieg. Er konzentrierte sich und ließ das Gestrüpp und die Erde rundherum verschwinden. Ein verfallener Raum wurde sichtbar, in der Mitte führte eine verfallene Treppe in die Tiefe. Loringhoven legte eine Hand auf das verrostete Eisengeländer und rüttelte daran, es knarrte und Rost rieselte zu Boden, aber es hielt. Vorsichtig schritt er die Treppe herunter, wobei er die Ampulle vor sich hielt, die grüne leuchtete und seinen Weg erhellte. Loringhoven erreichte den Fuß der Treppe, ein wenig Unrat und Erde mußte er noch beseitigen, dann lag ein weitverzweigtes Netz von Gängen und Stollen vor ihm. Er befand sich in den Kellerräumen des Instituts, an den Wänden hingen rostige Schilder, die Schrift war nicht mehr lesbar. Loringhoven brauchte sie nicht, er „sah“ die Spur die die Energie der alten Kultstätte in den Stollen hinterließ und folgte ihr. Das Institut war damals nicht zufällig an dieser Stelle gebaut worden. Sicher spielte auch die abgelegene und schwer zugängliche Lage eine Rolle, der Hauptgrund war jedoch die Kultstätte mit ihren natürlichen Gängen und Stollen. Man hatte sie zufällig im späten 19. Jahrhundert entdeckt, als man einen Brunnen bauen wollte. Damals waren mehrere Menschen in den Gängen verschwunden und man hatte sie daraufhin in Ruhe gelassen. Interessant wurden sie erst 80 Jahre später wieder, als Deutschland sich für den zweiten Weltkrieg rüstete. In den 30er Jahren hatten Archäologen die unterirdischen Stollen und Räume untersucht und dabei unglaubliches entdeckt. Natürliche Höhlen waren durch Verbindungsstollen und teilweise riesige Hallen zu einer unterirdischen Welt ausgebaut worden, an den Wänden fand man brüchige Kabel, die aussahen wie elektrische Leitungen, in manchen der Hallen befanden sich verfallene Maschinen aus Metall und unheimliche Statuen. Eine der Hallen enthielt Menschen und Tiere aus unterschiedlichen Epochen der Geschichte, die in Glasbehältern in einer seltsamen konservierenden Flüssigkeit schwammen. Unter den Tieren befanden sich einige, die noch nie ein Mensch gesehen hatte und der „jüngste“ Mensch in dieser morbiden Sammlung war ein römischer Legionär. Anhand dieser Funde versuchte man das Alter der Anlagen zu schätzen, konnte es aber nicht präziser als wenigstens 40.000 Jahre alt datieren. Es dauerte Jahre, alle Geheimnisse der unterirdischen Anlage zu erforschen und zu katalogisieren. Erschwert wurde diese Arbeit durch die „Bewohner“ der Stollen, behaarte Spinnen so groß wie Schäferhunde. Diese Tiere bevölkerten große Teile des Labyrinths und hatten ihre Nester entweder in Löchern im Boden oder unter den Decken der zahllosen riesigen Hallen errichtet. Sie waren es auch gewesen, denen die Brunnenbauer zum Opfer gefallen waren. Nachdem die Spinnen zwei der Archäologen „erbeutet“ hatten, schickte man Soldaten in die Stollen. Es dauerte nur einige Wochen, bis die meisten der Tiere Maschinenpistolen und Bajonetten zum Opfer gefallen waren. Danach waren die Stollen für Menschen sicher und die Angriffe der Spinnen hörten auf.
Zielstrebig folgte Loringhoven der magischen Spur, sie endete in einem Gang, der mit Trümmern angefüllt war und kaum mehr zu passieren. Loringhoven murmelte einige magische Wort und wurde von einer grünen Aura eingehüllt. Er durchdrang mühelos geborstene Balken, den Schutt und verbogene Stahlstreben, dann stieg er eine Treppe aus massivem Metall hinunter, die nach all den Jahren immer noch völlig rostfrei war. Sie endete vor einer quadratischen Tür aus demselben Material. Loringhoven untersuchte die Tür, sie hatte mehrere Schlösser und in der Mitte ein Zahlenschloß. Dieses Schloß war sein geringstes Problem, er griff das Metallrad und stellte die richtige Kombination ein, es war sein Geburtsdatum. Verblüfft stellte er fest, wie leicht das Rad sich nach all den Jahren noch bewegen ließ. Dann untersuchte er vier anderen Schlösser, Loringhoven besaß drei Schlüssel von ganz unterschiedlichen Formaten, rasch hatte er die passenden Schlösser gefunden und geöffnet. Blieb noch eines übrig. Mit Magie konnte er es nicht öffnen, das Material aus dem man die Tür gemacht hatte war magieresistent. Das verbliebene Schloß hatte eine merkwürdige Form, es sah aus wie ein Tropfen. Ein Ausdruck des Erkennens huschte über Loringhovens Gesicht. Er schlug seinen Mantel beiseite und nahm einen kleinen Dolch von seinem Gürtel, ein Artefakt, das man damals in diesen Stollen gefunden hatte. Er schnitt sich in den Daumen der linken Hand und preßte diesen dann auf das tropfenförmige Schloß. Die Temperatur schien sich plötzlich zu senken und Loringhoven zog seinen Daumen zurück. Beinahe geräuschlos öffnete sich die Tür und gab den Blick frei in eine lange Halle. Rechts neben der Tür führte eine Treppe nach oben zu einer Galerie, links befand sich eine weitere Tür.
„Endlich.“, murmelte Loringhoven, seine Augen glühten hellgrün in der Dunkelheit.

Gutshof Strelow, südlich von Koblenz, einige Tage später
Wolfgang Strelow zuckte zusammen, irgend etwas war passiert.
„Was ist?“, wollte Andrea, seine Tochter wissen. Die beiden saßen im rustikal eingerichteten Wohnzimmer des Gutshofs vor dem brennenden Kamin und spielten Schach. Es war erst die zweite Partie an diesem Abend und so bestand für Strelow noch die Hoffnung daß er Andrea schlagen konnte. Eine kleine Hoffnung zwar, aber es gab sie.
„Was ist los? Du hast doch was.“, beharrte Andrea, sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.
„Irgend etwas ist passiert.“, murmelte Strelow mehr zu sich selbst, „Ich konnte es eben fühlen. Werner. Es hat irgendwas mit Werner zu tun. Er ist wieder da. Er ist in Vaters Labor.“
Strelow sprang auf und stieß gegen den Tisch, das Schachbrett und die Figuren fielen zu Boden, „Dieser Wahnsinnige. Er will das Tor öffnen. Ich muß ihn aufhalten!“
„Was jetzt? Mitten in der Nacht?“, Andrea stand ebenfalls auf.
Strelow trat an einen massiven Eichenschrank und öffnete ein schmales Fach. Er zog eine Schatulle heraus und stellte sie auf den Tisch. Andrea hatte inzwischen die Schachfiguren wieder eingesammelt und neu auf dem Brett angeordnet. Strelow öffnet den Verschluß der Schatulle und schlug den Deckel zurück. Auf blauem Samt lagen zwei faustgroße, schwarze Waffen, die entfernt an die Phazer aus Star Trek erinnerten und genau um solche handelte es sich dabei.
Andrea nahm eine der Strahlwaffen in die Hand und sah ihren Vater fragend an.
„Ich habe sie vor einigen Tagen fertiggestellt, sie sind noch etwas anfällig, aber sie funktionieren.“, erklärte Strelow stolz und nahm den anderen Strahler an sich.
„Wie hast du das Problem der starken Hitzeentwicklung gelöst?“; fragte Andrea erstaunt, die die Entwicklung der Strahlwaffe von Anfang an verfolgt hatte.
„Gar nicht.“, meinte Strelow etwas zerknirscht, „Das Ding wird leider immer noch höllisch warm. Am besten man gibt nur wenige, gezielte Schüsse ab.“
Andrea wog die Waffe in der Hand, „Ich würde sie gerne erst einmal testen.“
„Kannst du tun.“, meinte Strelow, „Ich werde ohnehin noch eine Weile brauchen, bis ich das Tor lokalisiert habe. Hoffentlich hält Werner es lange genug geöffnet.“

Mannheim, einen Tag später
Matthias Berg blickte sich suchend in seiner Wohnung um, sofern man seine bescheidene Räumlichkeit überhaupt als Wohnung bezeichnen konnte. Ein winziges Bad, eine Küche und ein kombiniertes Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer, 3 winzige überfüllte Räume. Er hatte sich in diese „Studentenbude“ zurückgezogen, nachdem Sonja ihn verlassen hatte. Das war im Dezember gewesen, mittlerweile war es Ende Februar. Berg hatte sich ein verlängertes Wochenende genommen, um endlich einmal auszuspannen und Abstand zu gewinnen zu den wenig erfreulichen letzten Wochen. Anstelle seiner überfälligen Beförderung war er in eine andere Abteilung versetzt worden und zu allem Überfluß mußte er sich sein neues Büro mit einem Auszubildenden teilen. Nicht das er etwas gegen Auszubildende oder junge Menschen im Allgemeinen hatte, aber Patrick Unterbrink war gelinde gesagt ein Volltrottel. Am nützlichsten war er, wenn er einfach nur dasaß und sich möglichst wenig bewegte. Berg verscheuchte den Gedanken an die Arbeit, diese vier Tage wollte er sich erholen. Schon vor drei Wochen hatte er ein Zimmer gebucht in einer Pension am Fuße des kleinen Feldbergs im Taunus.
Noch einmal ging er durch seine Wohnung, die Stecker der elektrischen Geräte waren herausgezogen, sein neuer Anrufbeantworter war eingeschaltet und außerdem würde er ja gerade mal vier Tage weg sein. Berg schlüpfte in seine Jacke und nahm den Koffer und die kleine Reisetasche. Er verließ die Wohnung und verschloß sorgfältig die Tür, in dem düsteren Treppenhaus roch es wie üblich muffig, nach Schweiß und abgestandener Luft. Berg schwor sich noch in diesem Monat eine erfreulichere Bleibe zu finden. Es verging eigentlich kaum ein Tag, an dem er sich beim Gang durch das Treppenhaus nicht schwor schnellstens hier wegzuziehen. So rasch es das Gewicht des Koffers zuließ ging er die Treppen herunter, vor dem Haus prügelten sich zwei Jugendliche. Berg ging kopfschüttelnd an ihnen vorbei, er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie geschlagen. Auf einem unbebauten Grundstück gegenüber stand sein Wagen, ein hellblauer Audi. Ungeschickt balancierte er seine Reisetasche auf den Kofferraum und begann in der Hosentasche nach seinem Autoschlüssel zu kramen. Schließlich bekam er ihn zu fassen und schloß den Kofferraum auf. Er bugsierte den Koffer hinein und knallte den Deckel zu. Die Reisetasche stellte er auf den Beifahrersitz bevor er den Motor startete. Bevor er anfuhr gönnte er sich noch ein Bonbon. Nachdem er durch halb Mannheim gekurvt war, fuhr er auf die A 67 Richtung Frankfurt. Berg fuhr gern Auto, er legte sich eine Kassette mit den größten Hits der Beach Boys ein und langte gelegentlich nach den Bonbons auf dem Beifahrersitz. Es war auffällig wenig los auf der Autobahn und Berg konnte auf die Tube drücken. Wenn er dieses Tempo halten konnte, würde er in ungefähr dreieinhalb Stunden sein Ziel erreichen, in der Pension würde er Alexander Hill treffen, seinen alten Freund. Hill und er waren gemeinsam bei der Bundeswehr gewesen, Berg hatte seine 12 Monate abgesessen und war dann zurück zu Tego-Chemicals gegangen, während sich Hill noch für ein weiteres Jahr verpflichtet hatte und dann als Chemiker zu Kelter Pharma gegangen war. Die beiden Firmen unterhielten enge Geschäftsbeziehungen und so telefonierte Berg fast täglich mit Hill. Dieses Wochenende würden sie sich amüsieren ganz wie in alten Zeiten, hatte Hill am Telefon gesagt. Berg schmunzelte bei dem Gedanken, Hill war mit seinen 28 Jahren gerade mal ein Jahr älter als er selbst, und trotzdem redete er schon von den „alten Zeiten“. Die Sonne kam durch die Wolken und Berg drehte das Radio noch weiter auf. Gutgelaunt nickte er im Rhythmus von „Fun, Fun, Fun“ und klappte die Sonnenblende herunter. Sonja lächelte ihn an und Berg fühlte einen Stich ins Herz. Warum hing dieses verdammte Foto immer noch da? Mit deutlich gedämpfter Laune löste er das Bild und beförderte es in die Ablage unter dem Handschuhfach. Er nahm sich vor dieses unerfreuliche Kapitel in seinem Leben noch an diesem Abend bei einigen Bier endgültig zu vergessen. Am Darmstädter Kreuz fuhr er auf die A 5, die erheblich stärker befahren war. Schließlich geriet er noch in einen Stau und das Wetter, das bisher für diese Jahreszeit  ausgesprochen gut gewesen war, schlug in ein waschechtes Frühlingsgewitter um. Der Himmel verfinsterte sich und kurz darauf setzte heftiger Regen ein. Berg quälte sich eine halbe Stunde durch den Verkehr der nicht so recht wieder in Schwung kommen wollte, dann fuhr er auf einen Rastplatz. Wie nicht anders zu erwarten, war er nicht der einzige der diese Idee hatte und so beobachtet er vom Wagen aus das Gedränge in der Raststätte und in der Tankstelle davor. Der Strom der Fahrzeuge wollte nicht abreißen und die Preise an Autobahnraststätten waren ohnehin gesalzen und so beschloß Berg anstelle eines benzolverseuchten Hamburgers ein selbstgeschmiertes Brot zu sich zu nehmen. Er nahm die kleine Plastikbox aus seiner Reisetasche und entnahm ihr eine Schnitte. Er biß ab und fragte sich dabei wie immer, ob eigentlich alles ein klein wenig besser schmeckte, wenn er es nicht selbst zubereitet hatte. Vermutlich hatte er Recht mit dieser Theorie. Er wühlte in der Reisetasche nach der halbleeren (für ihn waren Flaschen stets halbleer) Flasche Mineralwasser, es schmeckte warm und abgestanden. Für einen Moment erwog Berg den Wagen trotz des prasselnden Regens zu verlassen und sich an der Tankstelle eine Dose Cola zu holen. Vermutlich wäre schon der Weg zur Tankstelle erfrischender als jede Dose Cola, dachte er mit einem säuerlichen Grinsen. Er blickte zur Autobahn hinüber, der Verkehr hatte sich ein wenig aufgelöst und Berg beschloß seine Fahrt fortzusetzen. Die Wischer leisteten Schwerstarbeit und Berg fragte sich ob es wohl im Taunus auch regnete. In diesem Fall würde aus dem Wanderwochenende eine Schlammschlacht. Aus dem Radio erklang „Then I kissed her“ und plötzlich war Berg der Meinung, die Beach Boys paßten nicht mehr zu dem miesen Wetter, er ließ das Band auswerfen und suchte in der Ablage nach etwas „regnerischerem“.
...fanden zwei Jäger einen weiteren Toten. Wie schon der erste Tote wurde auch dieser vermutlich von den Wölfen getötet, die vor einer Woche aus dem Taunus-Wildpark ausgebrochen sind. Zwei der Tiere wurden bereits wieder eingefangen, die übrigen drei sind immer noch...
Genervt schaltete Berg das Radio aus und murmelte, „Wölfe im Taunus. Genauso eine Geschichte brauche ich jetzt in meinem Urlaub.“
Er kramte weiter in der Ablage und fand ein Band mit der Musik aus „Das Imperium schlägt zurück“, seinem erklärten Lieblingsfilm. Er spulte ein wenig vor und genoß den imperialen Marsch, der zwar auch nicht zu dem Wetter passen wollte, aber die Musik die das tat, mußte so öde und depressiv sein, das sie nichts in Bergs Sammlung zu suchen hatte.

Frank Bollmann kannte die Wälder um den kleinen Feldberg wie seine Westentasche, er war Jäger aus Leidenschaft. Wie an fast jedem freien Tag war er auch heute auf der Pirsch. Er durfte noch Rotwild und einige Hasen schießen und so hatte er sich auf einem Hochsitz in der Nähe der Malter-Schlucht eingerichtet. Es war noch relativ früh am Morgen und ein leichter Bodennebel behinderte seine Sicht. Bollmann schloß die obersten Knöpfe seiner Jacke und schlug den Kragen hoch, es war doch noch empfindlich kalt. Ein Rascheln ließ ihn aufhorchen, irgend etwas schlich dort unten durch die Büsche. Bollmann entsicherte sein Gewehr und legte auf einige niedrige Sträucher an. Von dort war das Rascheln gekommen. Zweige zerbrachen, das Tier näherte sich dem Hochsitz, Bollmann wartete.
Das war es plötzlich totenstill. „Dieses Vieh wittert mich.“, dachte Bollmann.
Es raschelte wieder und dann konnte Bollmann es sehen. Es kam durch die Büsche geschlichen und drehte seinen haarlosen Kopf. Dann blickte es Bollmann direkt in die Augen. Er glaubte verrückt zu werden, so etwas durfte es nicht geben. Das war kein Hase oder Wildschwein, das war ein Monster. Braune feuchtglänzende Haut, weiße Augen ohne Pupillen und Reißzähne, die wie Rasierklingen aufblitzten. Bollmann hörte seinen eigenen Herzschlag überlaut in den Ohren dröhnen, seine Hände zitterten. Das Tier trat einen Schritt vor, es bewegte sich dabei auf den Hinterbeinen, dann stieß es einen markerschütternden Schrei aus. Bollmann reagierte in Panik, er zielte grob in die Richtung der Kreatur, dann drückte er ab. Der Schuß krachte los und die Schrotladung schlug in die niedrigen Büsche. Anscheinend hatte Bollmann die Kreatur erwischt, denn sie zuckte zurück und ließ wieder einen Schrei ertönen. Dann verschwand sie im Dickicht. Bollmann feuerte die zweite Schrotladung ins Dickicht, dann starrte er keuchend auf die freie Fläche vor seinem Hochstand. Es war nichts zu hören außer den Geräuschen des Waldes, Bollmann lud seine Flinte nach, dann stieg er vom Hochsitz. Er wollte nur noch eines: Raus aus diesem verfluchten Wald! Mit zitternden Knien und sich immer wieder umsehend näherte er sich dem Waldweg. Es war noch gut ein Kilometer bis zu seinem Wagen. Bollmann hielt die Waffe im Anschlag und zielte nervös in das Dickicht. Wieder ein Rascheln! Etwas huschte rechts an ihm vorbei, immer im Schutz des Unterholzes. Bollmann erstarrte in der Bewegung, dann feuerte er wieder in die Büsche, dorthin wo er die Kreatur vermutete. Er horchte. Und da hörte er wieder das Knurren. Direkt hinter sich. Bollmann fuhr herum, die Kreatur tauchte unter seinem Gewehrlauf weg und stieß sich vom Boden ab. Bollmann feuerte noch einmal ins Leere, dann spürte er wie sich die Zähne der Kreatur in seinen Bauch gruben. Bollmann wurde umgerissen, fiel auf den Rücken und schrie. Die Kreatur warf den Kopf hin und her. Der Schmerz war unerträglich, Bollmann kreischte, dann hustete er Blut. Die Kreatur stieß einen langen gurgelnden Schrei aus, Bollmann hörte ihn nicht mehr. Sein gebrochener Blick war in den Himmel gerichtet, nur seine Hände und Beine zuckten noch.

Ein Stück hinter Eschborn bog Berg von der Autobahn und näherte sich auf Landstraßen seinem Ziel, durch das schlechte Wetter und den Stau hatte er schließlich doch noch über vier Stunden gebraucht um ans Ziel zu gelangen. Ohne Mühe fand er die kleine Pension und steuerte den Audi auf den Parkplatz vor dem Haus. Sein Wagen war der einzige, also war Hill noch nicht da. Zur Freude von Berg war das Wetter am Fuße des kleinen Feldbergs wesentlich besser und die Wege waren trocken. Er umrundete den Wagen und holte den Koffer aus dem Kofferraum, dann schritt er auf die Pension „Waldblick“ zu. Das zweistöckige Haus machte einen freundlichen Eindruck und Berg beschleunigte seinen Schritt. Er betrat die kleine Empfangshalle, die eigentlich nur aus einem Tresen, einem Postkartenständer und einer Sitzgruppe bestand. Es war niemand zu sehen und Berg sah sich nach einer Klingel oder etwas ähnlichem um. Bevor er fündig geworden war, trat eine grauhaarige Frau aus einem Hinterzimmer hinter die Theke und lächelte Berg freundlich an, „Guten Tag, Sie müssen Herr Berg sein.“
Berg erwiderte das Lächeln, „Richtig, ich habe reserviert.“
Die Wirtin nahm einen Schlüssel von dem Bord an der Wand und reichte ihn Berg, mit ihrem breiten hessischen Dialekt meinte sie, „Ihr Zimmer liegt im ersten Stock, die Nummer drei mit Blick ins Tal.“
Berg bedankte sich artig und stieg die knarrende Treppe empor. Rechts von der Treppe befand sich sein Zimmer, er öffnete die Tür und stellte den Koffer vor den Schrank. Dann betrat er das Badezimmer, das tat er immer als erstes wenn er ein Hotelzimmer betrat. Das Bad war sogar ein wenig größer, als das in Bergs Mannheimer Wohnung. Zufrieden betrat er wieder das Schlafzimmer und zog die Gardine beiseite. „Blick ins Tal.“, murmelte er, „Blick auf den Parkplatz paßt besser.“ Mit einem müden Lächeln setzte er sich auf die Bettkante, es roch nach frisch gewaschener Bettwäsche und Berg ließ sich nach hinten fallen. Er schloß die Augen und reckte sich. Hier konnte man es aushalten, er beschloß kurz zu duschen, wahrscheinlich würde Hill jeden Moment eintreffen.

Das Prasseln des heißen Wassers übertönte jeden Laut und so hörte Berg das Telefon erst beim dritten oder vierten Klingeln. Er stellte die Dusche ab und trat aus der Kabine, nur mit einem Handtuch bekleidet betrat er das Schlafzimmer. Das Telefon stand auf einer Kommode neben dem Fenster, Berg hob ab. Die Wirtin entschuldigte sich für die Störung und kündigte einen Herrn Hill an.
„Was ist passiert?“, wollte Berg wissen.
„Mein Bruder hatte einen Autounfall. Heute morgen. Ich habe versucht dich noch zu Hause zu erwischen, aber du warst wohl schon unterwegs.“
„Kein Problem, Alex. Wie geht’s denn deinem Bruder?“
„Hat Glück gehabt, ein Arm und ein Bein sind gebrochen. Ansonsten ist er mit ein paar Schürfwunden davongekommen.“
„Na, Gott sei Dank.“
„Es tut mir leid, aber ich werde dieses Wochenende hier in Mainz verbringen müssen. Ein paar Verwandte sind auf dem Weg und ich möchte jetzt nicht einfach verschwinden.“
„Hey, das ist doch kein Problem. Bestell deinem Bruder gute Besserung von mir.“
„Mach ich und nichts für ungut. Ich muß Schluß machen, da ist jemand an der Tür. Also dann bis demnächst.“
„Mach’s gut, Alter.“, Berg hängte ein.
Das waren ja düstere Aussichten, ein feuchtfröhliches Wochenende ganz allein zu verbringen. Aber Berg verstand seinen Freund, Hill war halber Spanier. Er hatte ein ganz anderes, sehr viel engeres Verhältnis zu seiner Familie. Berg ging zurück ins Badezimmer, stellte sich noch einmal unter die Dusche und überlegte dabei, was er aus dieser Situation machen sollte. Geh ich eben wandern, dachte er.
Nachdem er sich neu eingekleidet hatte, verließ Berg sein Zimmer. In der Empfangshalle stand die Wirtin hinter dem Tresen und las in der Zeitung. Sie blickte auf, als sie Berg hörte, „Ihr Freund hat für dieses Wochenende abgesagt?“
Berg nickte, „Ja, da kann man nichts machen. Dann werde ich statt dessen wandern gehen.“
„Nach allem was hier in den letzten Wochen passiert ist?“, die Wirtin blickte entsetzt.
„Passiert? Was ist denn passiert?“, wollte Berg wissen.
„Im Wald geht ein Untier um. Es hat zwei Männer getötet, einen Jäger und einen Waldarbeiter. Und im Ort erzählen sie sich, es wären noch weitere Menschen verschwunden, die gar nicht mehr aufgetaucht sind.“
„Ich habe im Radio davon gehört, angeblich sind ein paar Wölfe aus einem Wildpark ausgebrochen.“
„Ich kannte den alten Steinhoff, das ist  der getötete Jäger. Er hätte sich nicht von ein paar Wölfen überrumpeln lassen. Nein, das war ein Untier.“
Berg zwang sich nicht zu lachen und meinte, „Naja, heute abend werde ich sowieso nicht mehr losziehen. Ich werde mich im Ort umsehen, ein paar Bier trinken.“ Und eine Wanderkarte kaufen, fügte er in Gedanken hinzu.
Die Wirtin sah ihm besorgt nach, als er die Pension verließ.

Nicki Markmann saß im Schneidersitz auf dem Bett und bediente einen klapprigen Kassettenrecorder, der neben ihr stand. Leise erklang eine rockige Ballade und Nicki lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schloß die Augen. Sie ließ die letzten Wochen noch einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Sie war wegen allzu häufigen Fehlens von der Schule geflogen, dann war die Polizei da gewesen, weil man sie zusammen mit einigen stadtbekannten Junkies aufgegriffen hatte. Ihre Eltern hatten getobt und nur allzu begeistert zugestimmt, als man sie in ein Arbeitsprojekt für „schwierige Jugendliche“ gesteckt hatte. Jetzt sollte sie in diesem Kaff ein dreiwöchiges Praktikum machen, als Verkäuferin in einer Andenkenbude. Dafür bekam sie freie Kost und Logis und ein wenig Taschengeld. Reckhard, der alte Pensionswirt, hatte schon öfters Jugendliche im Rahmen dieses Projekts aufgenommen. Nicki hatte nichts dagegen gehabt, mal aus Frankfurt wegzukommen, trotzdem fühlte sie sich in diesem Programm merkwürdig fehl am Platz. Sie war ja schließlich keine Drogensüchtige, hatte höchstens mal einen Joint geraucht. Aber sei’s drum, am Morgen war sie schließlich mit ihrem Wagen hier angekommen. Das Ehepaar Reckhard hatte ihr dieses Zimmer unter dem Dach gezeigt und sie hatte sich ein wenig eingerichtet. Dann gab es Mittagessen und anschließend hatte ihr der alte Reckhard die Pension gezeigt und auch den Kiosk, der etwas außerhalb lag. Nun hockte sie seit etwas über einer Stunde in ihrem Zimmer. Ihr Magen knurrte, sie öffnete ein Auge und schielte auf ihre Armbanduhr. Es war 15:40 Uhr, noch viel zu früh für das Abendessen. Nicki langte nach ihrem Rucksack und entnahm ihm eine Packung Butterkekse, sie liebte Butterkekse. Gerade hatte sie sich einen Keks genehmigt, da klopfte der Wirt an die Tür, „Fräulein Markmann? Darf ich hereinkommen?“
Warum nicht, du Trottel? Es ist dein Haus, dachte Nicki, dann rief sie, „Ja bitte, es ist offen.“
Reckhard trat ein, er war ein dicklicher, kleiner Mann mit weißen Haaren und einem leicht geröteten Gesicht. Ein wenig erinnerte er Nicki an den Coca-Cola-Weihnachtsmann.
„Ich weiß, daß sie vermutlich müde sind und das sie offiziell erst ab morgen arbeiten“, begann er, „aber sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn sie einige Kisten aus dem Kiosk am Campingplatz holen könnten.“
Nicki ließ die Keksschachtel verschwinden und schwang sich vom Bett, „Kein Problem.“
Sie nahm noch die Brille aus der Seitentasche des Rucksacks, die brauchte sie zum Auto fahren.

Berg folgte zu Fuß dem Schotterweg, der in den nahen Ort führte, es war kurz nach 16 Uhr. Etwas oberhalb des Ortes lag ein kleiner Campingplatz, er sah verlassen aus, die Saison begann erst in einigen Wochen. Berg entdeckte einen kleinen Andenkenladen, ein weißer Fiat war davor geparkt. Interessiert schlenderte er näher und entdeckte eine junge Frau, die sich mit einer Kiste abmühte.
„Warten Sie, ich fasse mit an.“, bot er an.
Die Frau sah auf und lächelte, dann trat sie von der Kiste zurück. Berg ging in die Hocke und hob die Kiste hoch, sie war wesentlich schwerer als er gedacht hatte.
„Wo soll sie hin?“, fragte er und begann dabei bereits zu spüren, daß er nicht eben ein Fitnessfanatiker war.
„In den Kofferraum, bitte.“, antwortete die Frau und eilte zu ihrem Wagen. Ihre Stimme klang rauh und dunkel, wahrscheinlich rauchte sie.
Sie klappte den Kofferraum auf und Berg wuchtete die Kiste hinein. Das Fahrzeug ächzte unter dem Gewicht der Kiste und Berg unterdrückte ein ähnliches Geräusch als er das Gewicht los war.
„Danke, ich glaube ohne Sie hätte ich die Kiste gar nicht ins Auto gekriegt.“, lächelte die Frau, eigentlich war sie noch ein Mädchen, Berg schätzte sie auf ungefähr zwanzig.
„Ganz schön schwer, was?“, grinste sie etwas verlegen.
„Ach was!“, keuchte Berg.
„Ich hab noch mehr davon drinnen in der Hütte.“
Berg verzog das Gesicht, was sie aber nicht sehen konnte, und schleppte dann die restlichen Kisten auch noch in den Wagen. Der kleine Fiat sah mit einem Mal aus wie tiefer gelegt.
„Was ist denn bloß da drin?“, wollte Berg wissen.
„Postkarten. Ansichtskarten. Sie sind schon älter, ich will sie mit in den Ort nehmen und Aufkleber draufkleben. Mit unserer neuen Adresse.“
Berg blickte sie fragend an.
„Die Karten sind schon ein paar Jahre alt. Hinten ist die Adresse von unserem Campingplatz aufgedruckt, aber noch mit der alten Postleitzahl und ohne Telefonnummer.“
„Haben Sie vielleicht auch Wanderkarten in ihrer Kiste, ich bin nämlich zum Wandern hier.“
Das Mädchen lächelte und trat in die Andenkenbude. Mit zwei verschiedenen Karten kam sie wieder heraus, „Hier, die schenke ich ihnen. Für ihre Hilfe. Da ist sogar schon die neue Postleitzahl drauf.“
„Die Telefonnummer auch?“, wollte Berg wissen.
Sie grinste und zog einen Kugelschreiber aus der Tasche. Dann schrieb sie etwas auf die Rückseite der Karte.
„Ich heiße Nicki. Wenn ich mich mal revanchieren kann, ruf mich an.“
Berg nahm die Karte entgegen und lächelte verblüfft, dann meinte er, „Mach ich. Ich heiße Matthias, ich habe mich oben im „Waldblick“ eingemietet.“
„Hab ich mir gedacht. Du bist zum Wandern hier?“
„Ursprünglich wollte ich hier einen Freund treffen, aber er hat abgesagt.“
„Und jetzt wird aus dem Partywochenende, ein Wanderwochenende.“
„Genau. Hast du ein paar Tips für mich? Ich meine, gibt es hier besondere Plätze, alte Ruinen, oder so was?“
„Bis zur Saalburg ist es ein ganzes Stück. Ich kenn’ mich hier auch nicht so aus. Ich bin auch erst seit heute morgen hier, ursprünglich komm ich aus Frankfurt. Oh, ich muß los. Ich werde im Ort erwartet.“
„Brauchst du Hilfe um die Kisten wieder auszuladen?“
„Nein, das kann mein Chef machen. Soll ich dich mit in den Ort nehmen?“
„Nö, laß mal. Ich wollte mich ohnehin noch etwas umsehen.“
„Na, dann bis irgendwann.“
Nicki stieg in den Wagen und fuhr davon. Berg blickte auf die Karte mit ihrer Telefonnummer und schüttelte grinsend den Kopf, „Tja, ich schätze, ich habe es noch nicht verlernt.“

Nach einem kurzen Fußmarsch erreichte Berg den Ort. Es dämmerte bereits und so beschloß er sich im Gasthaus „Eckstübchen“ (zwinker) ein Bier zu gönnen und dann den Heimweg anzutreten. Er betrat den Schankraum und orientierte sich kurz, im Eingangsbereich standen einige besetzte Tische. An der gegenüberliegenden Wand befand sich die Theke. Berg setzte sich an einen leeren Tisch und bestellte bei der Kellnerin ein Bier.
Sie legte ihm die Speisekarte hin und Berg fiel ein, daß er seit dem belegten Brot am Mittag nichts mehr gegessen hatte. Er blätterte die Karte durch und entschied sich für Gulasch mit Reis und Kroketten. Die Kellnerin stellte ihm sein Bier hin und verschwand dann in der Küche. Berg nippte an seinem Kristallweizen und sah sich im Schankraum um, es befanden sich fast ausnahmslos ältere Männer im Raum. Wie überall befanden sich die jungen Leute vermutlich in einer Diskothek in der nächsten Großstadt. Berg mußte an die nette Nicki denken, er zog die Karte aus der Tasche und blickte versonnen auf den Namen mit der Telefonnummer. Ob das ihre richtige Nummer war? Berg sah sich keinesfalls als Frauentyp, dafür war er einfach zu still und verschlossen. Ein älterer Mann unterbrach seine Gedanken, er setzte sich zu Berg an den Tisch und nickte der Kellnerin zu.
„Tourist?“, wollte er von Berg wissen.
Berg bejahte und nippte wieder an seinem Bier.
Die Kellnerin erschien und brachte Berg sein Gulasch (es sah eher aus wie Ghoul-Arsch), dem Alten stellte sie ein Bier hin.
„Guten Appetit.“, wünschte der alte Mann Berg.
„Danke.“, meinte dieser und machte sich mit großem Appetit über sein Essen her.
Ein weiterer Mann gesellte sich an den Tisch und die beiden alten Herren fragten Berg aus. Als Berg mit dem Essen fertig war, hatte er den beiden alles über sein geplatztes Wochenende, seinen Beruf bei Tego Chemicals und seine Pläne für die nächsten Tage erzählt.
„Sie wollen doch nicht wirklich wandern gehen?“, fragte einer der Alten bestürzt.
Berg war sich mittlerweile selbst nicht mehr so ganz sicher und so zuckte er nur die Achseln.
Der Alte wollte gerade wieder zu einer neuen Warnung ansetzen, da öffnete sich die Tür und ein Mann in einem dunkelgrünen Mantel stürzte herein. Keuchend ließ er sich am Nebentisch nieder, „Sie haben wieder einen gefunden. Es ist der junge Bollmann.“
„Wo?“, wollte einer der Männer wissen.
„Wo die anderen auch lagen. Bei den alten Bunkern. Er war schrecklich zugerichtet, er war in der Mitte durchgerissen.“
Eine erregte Diskussion begann, Berg hörte eine Weile zu, dann verließ er die Wirtschaft.

Nach der verräucherten Luft in der Gaststätte tat die kühle Nachtluft richtig gut. Berg atmete tief ein und machte sich dann auf den Weg zurück zur Pension, es war mittlerweile 21 Uhr. Bis zur Pension waren es ungefähr drei Kilometer und es ging stetig bergauf. Berg mußte zähneknirschend feststellen, daß er doch kein so toller Wanderer war. Gerade hatte er das Ortsschild passiert, da näherte sich ein Wagen von hinten, Berg trat zur Seite und das Fahrzeug hielt mit quietschenden Rädern. Berg trat aus dem Licht der Scheinwerfer und kniff die Augen zusammen. Es war ein weißer Fiat und drin saß Nicki. Sie kurbelte die Scheibe herunter und Berg trat an den Wagen heran.
„Ich muß Ihnen etwas erzählen. Bitte Steigen Sie ein.“
„Warum bleiben wir nicht beim Du.“, fragte Berg.
„Oh ja, natürlich. Ich bin wohl etwas durcheinander.“
Berg ging um den Wagen herum und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Nicki blickte ihn hektisch an, sie hielt eine Zigarette in der Hand.
„Du kannst mich zur Pension fahren, unterwegs kannst du mir alles erzählen.“
Nicki fuhr an, „Matthias, ich habe dieses Tier gesehen. Das Tier, das die Waldarbeiter getötet hat.“
„Was?“
„Ich bin mir ganz sicher. Ich war noch kurz Zigaretten holen, da hab ich gesehen, daß da etwas zwischen den Mülltonnen herumgeschlichen ist. Ich habe einen Stein geworfen und da ist dieses Vieh aufgetaucht. Es war groß wie ein Dobermann, aber es lief auf den Hinterpfoten und es hatte gar kein Fell.“
Berg blickte nur ungläubig.
„Ich sage die Wahrheit. Dieses Vieh blieb zwischen den Mülltonnen hocken, ich bin ganz langsam weggegangen und es hat sich nicht gerührt. Es hat mich nur angestarrt, es hatte Augen wie weiße Kugeln, ohne Pupillen. Dann hat es .. hat es gefaucht oder geknurrt, da bin ich nur noch gerannt.“
„Jedenfalls bin ich dir sehr verbunden, daß du mich nicht zu Fuß gehen läßt. Ich möchte diesem Tier nicht im Dunklen begegnen.“
„Machst du dir jetzt einen Spaß mit mir?“, Nicki klang verletzt.
„Nein, bestimmt nicht. Der ganze Ort spricht ja schon davon. Ich werde mich morgen mal in den Wäldern hier umsehen.“
„Hast du denn gar keine Angst? Was wenn dieses Tier dich angreift?“
„Dann flüchte ich auf den nächsten Baum und rufe den Hundefänger.“, Berg grinste.
„Ich werde mitkommen.“, verkündete Nicki mit fester Stimme.
„Wenn du möchtest. Treffen wir uns morgen um 9 Uhr vor der Pension.“
„Ich werde da sein.“, versprach sie. Mittlerweile hatten sie die Pension erreicht und Berg bedankte sich noch einmal für die Taxe. Nicki winkte ihm nervös nach und würgte dann zweimal den Wagen ab, bevor sie zum Ort zurückfuhr.

Berg lag noch lange wach, das mußte er erst einmal verdauen. Ein seltsames Tier tötete Jäger und Waldarbeiter und tauchte dann in der Nähe des Ortes auf. Wäre das Ganze nicht so makaber gewesen, Berg hätte es für einen Gag des Fremdenverkehrsverbands gehalten. Man mußte heutzutage sehr kreativ sein, um Touristen anzulocken. Aber es würde doch niemand drei Menschen töten um die Legende vom südhessischen „Bigfoot“ zu etablieren. Oder? Berg stellte noch seinen Reisewecker auf halb acht, dann schloß er die Augen.

Auf leisen Sohlen schlich Berg die Treppe herunter, er wollte unbemerkt an der neugierigen Wirtin vorbei. Die letzte Treppenstufe knarrte unüberhörbar und Berg hielt den Atem an.
„Herr Berg? Einen schönen guten Morgen wünsche ich. Sagten sie nicht, sie wollten ausschlafen?“
Berg rollte mit den Augen, dann drehte er sich um und trat lächelnd an den Tresen heran, „Ich habe es mir anders überlegt. Ich möchte ein wenig spazieren gehen.“
Die Wirtin blickte ihn besorgt an, „Sie wollen wirklich in die Wälder gehen? Nach allem was passiert ist?“
Berg zuckte die Achseln und nickte, „Ich kann auf mich aufpassen.“
„Ich sehe, daß es Ihnen ernst ist. Warten Sie, ich gebe Ihnen etwas mit.“, die Wirtin verschwand in einem Hinterzimmer.
Berg stellte sich vor, wie sie mit einigen Knoblauchzehen und einem klobigen Silberkreuz wieder hervorkam. Er grinste vergnügt. Es verging eine Minute, dann kam die Wirtin zurück, sie hielt ein kleines weißes Bündel in der Hand. Berg sah sie fragend an und sie legte das Bündel auf den Tresen.
„Nehmen Sie sie mit, Herr Berg. Sie hat meinem Vater gehört.“
Berg zog das Tuch zurück, „Eine ...eine Pistole?“
„Sie ist geladen, nehmen Sie sie.“
„Das kann ich nicht. Ich kann doch keine scharfe Waffe mit mir herumtragen.“
„Um Ihrer Sicherheit willen. Ich bitte Sie.“
Berg erinnerte diese Diskussion an eine Szene aus Bram Stokers „Dracula“. Jonathan Harker hatte das Silberkreuz von der alten Rumänin genommen und so steckte Berg die Pistole in seine Jackentasche und bedankte sich bei der Wirtin. Nicki war soeben auf den Parkplatz vor dem Haus gerollt und Berg wollte sie nicht warten lassen. Für einen Moment, überlegte er die Waffe gleich wieder in den Briefkasten vor dem Haus zu werfen. Aber er wollte die Wirtin nicht kränken und so behielt er die Pistole bei sich.

Nicki stieg gerade aus dem Wagen und Berg trat lächelnd auf sie zu, „Guten Morgen, Nicki.“
„Morgen.“, antwortete sie und sah übermüdet aus.
„Na, alles kampfbereit?“, meinte Berg gutgelaunt.
„Ich hab nicht viel geschlafen letzte Nacht.“, Nicki sah wirklich nicht sehr erholt aus.
„Wir sollten uns etwas Proviant mitnehmen.“
„Schon geschehen. Ich habe uns ein paar belegte Brote gemacht. Zwei Flaschen Mineralwasser habe ich auch eingesteckt.“
„Super, dann kann’s von mir aus losgehen. Soll ich deinen Rucksack nehmen?“
Nicki reichte ihm den Rucksack und Berg hängte ihn sich mit einem Riemen über die Schulter.
„Wo gehen wir lang?“, wollte Berg wissen.
„Hast du die Karte dabei?“
„Yip.“, Berg zog die Karte aus der Jackentasche und spürte dabei den kalten Stahl der Pistole an seiner Hand. Er breitete die Karte auf Nickis Motorhaube aus und sie beugte sich vor. Sie orientierte sich kurz, dann zeigte sie auf ein langgezogenes Tal, fast schon eine Schlucht.
„Da. Da verirren sich keine Touristen hin. Früher waren da überall alte Bunker, aber die haben sie zugemauert.“
„Du kennst dich ja doch ziemlich gut aus hier.“
„Ich hab den alten Reckhard gefragt.“
Berg faltete die Karte zurecht und verstaute sie wieder in seiner Tasche, dann marschierten die beiden los. Eine Weile folgten sie dem Schotterweg, dann bogen sie nach links auf einen Waldweg ab. Wie lange Fangarme ragten die Äste der Bäume in den Weg hinein, der Weg wurde offensichtlich selten benutzt. Nach einer knappen Stunde lichtete sich das Gestrüpp zur Linken und gab den Blick frei in eine tiefe Schlucht.
„Da müssen wir runter?“, wollte Berg wissen.
„Ich war noch nie hier, aber wenn wir uns nicht böse verfranzt haben, ist das diese Schlucht.“
Berg blickte den Abhang hinunter und war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er immer noch diesen Wald nach irgendwelchen Monstern durchstöbern sollte. Die Schlucht stand voller dichter Bäume, die das Tageslicht geradezu verschluckten. Er tastet instinktiv nach der Pistole in seiner Jackentasche, deren Gewicht er während des ganzen Marsches unangenehm gespürt hatte. Nicki blickte ihn erwartungsvoll an und Berg gab sich einen Ruck.
„Wir steigen hier herunter, ich gehe vor.“, Berg bog das Gestrüpp zur Seite und spürte wie er in Brennesseln griff.
„Sei vorsichtig, hier sind...“
„Ich hab sie gesehen.“, unterbrach ihn Nicki nicht ohne ein schadenfrohes Grinsen.
Berg grinste säuerlich, dann wandte er sich um und ließ sich vorsichtig nach unten gleiten. Dabei machte er keine besonders gute Figur, einmal rutschte er gute fünf Meter auf Händen und Knien abwärts um sich dann mit einem verlegenen, „Nix passiert.“, wieder zu fangen. Nicki kletterte geschickter als Berg, nur beim Überwinden von kleineren Felsspalten mußte sie sich von ihm helfen lassen. Schließlich hatten sie die Talsohle erreicht, wo ein kleiner Bach floß.
„Ich schlage vor, wir folgen dem Bach hier.“, meinte Berg etwas außer Atem.
Nicki setzte sich auf einen Felsen am Ufer, „Können wir nicht erst einmal Rast machen?“
Berg sah auf die Uhr, es war mittlerweile halb 12, und er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.
„Einverstanden.“, nickte er und ließ sich ebenfalls nieder.
Er reichte Nicki den Rucksack und sie holte zwei Papiertüten hervor, „Leberwurst oder Blutwurst?“
„Äh, egal.“, druckste Berg.
„Das sollte ein Scherz sein.“, lachte Nicki hell auf, „Sind beide mit Wurst und Käse belegt.“
Berg grinste erleichtert, „Puh. Ich hatte schon befürchtet.“
Die Brote schmeckten ganz ausgezeichnet und Berg verputzte alle drei, während Nicki anderthalb aß. Frisch gestärkt folgten die beiden dann dem Bach stromaufwärts.

Es war wirklich finster in diesem Tal, aber wenigstens schützte das dichte Blätterdach vor dem leichten Nieselregen, der sich in das Rauschen der Tannen mischte.
Plötzlich tauchte aus dem dichten Unterholz ein verfallenes Gebäude auf, ein völlig mit Moos bewachsener Betonbau, dessen Obergeschoß und Dach eingestürzt waren.
„Das ist das Loringhoven-Institut, ein Geheimlabor aus dem zweiten Weltkrieg.“, erklärte Nicki.
„Woher weißt du das?“
„Der Bruder meines Chefs hat mir davon erzählt, er hat damals zur Wachmannschaft gehört.“
„Was haben die hier hergestellt?“
„Das wußte er auch nicht. Man hat damals alle Unterlagen weggeschafft und das Labor dann gesprengt.“
Berg nickte, „Das ist interessant. Ich finde, wir sollten uns in diesem Bau mal umsehen.“
Nicki zuckte die Achseln und folgte Berg. Der erste Stock war komplett eingestürzt, nur eine Treppe führte noch ins Leere. Das Erdgeschoß bestand aus mehreren verfallenen Räumen, teilweise ohne Dach. In einigen Räumen stapelten sich verrostete Regale, Tische und zerschlagene Glasbehälter. Die Wände waren mit schmutzigen, moosbewachsenen Kacheln bedeckt. Berg und Nicki drangen weiter in das Gebäude vor, es schien von innen wesentlich größer als von außen zu sein. Vermutlich war es teilweise in den Fels hineingebaut. Die hinteren Räume hatten hohe, schmale Fenster, die wie Schießscharten aussahen. Es war düster und Berg wandte sich an Nicki, „Hast du zufällig eine Taschenlampe dabei.“
Nicki schüttelte den Kopf, „Nein. Aber warte, ich hab ein Feuerzeug.“
Sie kramte in ihrer Jackentasche, dann reichte sie Berg das Feuerzeug. Er nahm es an sich und entzündete es. Der Boden des Raums war mit einer öligen Flüssigkeit bedeckt und die Wände waren rußgeschwärzt. Irgendwann hatte es in diesem Raum ein sehr heißes Feuer gegeben, die Hitze war so stark gewesen, daß die meisten Fliesen geplatzt und von der Wand gefallen waren. Die beiden durchquerten noch einige Räume, es war überall dasselbe Bild.
„Sieh mal hier.“, meinte Nicki plötzlich und deutete auf eine Treppe die nach unten führte.
„Sollen wir runtersteigen?“, Berg stützte sich auf das verrostete Geländer und spähte in die dunkle Öffnung.
„Wir haben keine Lampe. Wer weiß wie brüchig die Wände und der Boden da unten sind.“
„Ach was. Die haben doch früher noch stabil gebaut. Ich werde gehen.“
„Allein bleib ich nicht hier oben, ich komme mit.“, Nicki sah alles andere als glücklich aus.
Berg überlegte einen Moment, ob er das Unternehmen nicht abbrechen sollte, dann siegte die Neugier. Er stieg die Treppe hinunter, Nicki folgte ihm.
Berg entzündete wieder das Feuerzeug, „Ist das eine Finsternis. Und dieser Geruch. Hoffentlich haben die hier kein Giftgas zusammengemischt.“
„Ich würde lieber wieder nach oben gehen.“
„Einen Moment noch, ich glaube da vorne ist Licht.“
Berg löschte die Feuerzeugflamme und Nicki sah, was er gemeint hatte. Hinter einer Ecke war tatsächlich ein Lichtschimmer, wie schwaches elektrisches Licht.
Vorsichtig spähte Berg um die Ecke, „Jetzt brat mir doch einer n´Storch. Hier gibt’s Licht. Irgend jemand muß hier sein.“
„Vielleicht haben sie auch vor 50 Jahren vergessen, das Licht auszumachen.“, flüsterte Nicki.
„Ich hätte mir einen Fotoapparat mitnehmen sollen, hier ist doch irgendwas im Busch.“
„Ich habe einen Fotoapparat dabei.“, zischte Nicki.
„Halt das Ding bereit, hier ist irgendwas oberfaul und hör auf so zu keuchen.“
„A... Aber, das bin nicht ich, das....“, stotterte Nicki und ihre Stimme zitterte.
„Verdammt.“, fluchte Berg und tastete nach der Pistole in seiner Tasche.
Er richtete die Mündung in den beleuchteten Gang, da kam etwas auf sie zu.
„Auf der Treppe!“, kreischte Nicki, „Da kommt irgendwas!“
„Hier lang, renn!“, Berg zerrte Nicki hinter sich her. Hinter der nächsten Ecke hockte er sich hin. Er drückte Nicki das Feuerzeug in die zitternde Hand, „Hier, leuchte mal. Ich habe eine Pistole.“
Nicki schaffte es erst beim dritten Versuch das Feuerzeug zu entflammen, ihre Hände zitterten zu stark.
Berg besah sich die Pistole, er verstand wenig von Waffen. Bei der Bundeswehr hatte er irgendwann einmal mit einer Pistole geschossen. Irgendwie mußte er sie durchladen, er fingerte nervös an der Waffe herum, dann durchschaute er den Mechanismus. Es klickte hörbar, dann entsicherte er die Waffe und blickte in den Gang. Nicki hatte sich dicht hinter ihn gedrängt.
Zwei Kreaturen, wie aus einem Horrorfilm näherten sich mit kurzen Sprüngen. Nicki hatte nicht übertrieben, die Wesen hatten eine hellbraune Haut, die feucht schimmerte. Ihre Augen waren weiße Kugeln ohne Pupillen und der Kopf lag irgendwo zwischen Bluthund und Gorilla. Berg zielte kurz, dann drückte er ab, die vordere Kreatur kreischte getroffen auf und wälzte sich in wilder Raserei auf dem Boden. Die zweite verschwand in einer offenen Tür, Berg hörte sie nur noch wütend knurren.
„Wir müssen raus hier. Gib mir noch mal das Feuerzeug, vielleicht gibt es einen zweiten Ausgang.“, Berg klang unsicher. Er schlich vorsichtig weiter den Gang hinunter, wobei das Feuerzeug die einzige Lichtquelle war. Nicki hielt Bergs linke Hand so fest umklammert, das es beinahe schmerzte. Ihre Flucht endete in einem Raum ohne Ausgang.
„Verdammt, Sackgasse.“, schimpfte Berg und wandte sich wieder zur Tür.
In der Tür erschien ein alter Mann in einem weißen Kittel, flankiert von zwei der Kreaturen.
„Willkommen in meinem Institut.“, höhnte er, „Leider werden Sie es nie mehr verlassen.“
Die Kreaturen starrten geifernd auf Nicki und Berg. Nicki holte unter ihrem Pullover eine Kette mit einem Kreuz daran hervor, Berg wollte schon den Kopf schütteln, aber der unscheinbare Anhänger machte Eindruck auf den alten Mann und seine Monster. Er wandte den Kopf weg, die Kreaturen zogen sich in den Gang zurück. Berg richtete seine Waffe auf den Alten, „Nehmen Sie die Hände hoch und sorgen Sie dafür, daß dieses Viecher verschwinden.“
Der Alte lachte und schlug rasch die eiserne Tür zu, „Du Wurm. Du sollst hier drin verfaulen.“ Berg feuerte zweimal auf die Tür und Nicki kreischte schrill, dann klammerte sie sich an ihn. Berg ließ die Waffe sinken, sie hörten wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde und das Lachen des Alten, daß sich rasch entfernte. Dann Stille.
Es war stockfinster, Berg saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Nicki drückte sich noch immer an ihn.
„Das Wochenende fing schon Scheiße an, aber das hier schlägt alles.“, Bergs Stimme klang müde.
„Was sollen wir denn jetzt machen.“, schluchzte Nicki.
„So viele Möglichkeiten gibt’s da nicht. Wir können warten, bis dieser Irre im weißen Kittel zurückkommt und versuchen ihn zu überwältigen oder wir warten das uns jemand findet.“
„Da können wir lange warten, oder hast du jemand gesagt wo wir hingehen?“
„Ich nicht. Und du?“
Nicki richtete sich ruckartig auf, „Niemand weiß, wo wir sind. Wir müssen hier raus. Hilf mir, vielleicht gibt es hier noch einen Ausgang.“
„Was soll das denn für ein Ausgang sein? Eine Luke im Boden mit einem Fluchtstollen ins Freie?“
„Vielleicht eine Luke oder eine Geheimtür. Ein vermauertes Fenster, irgendwas. Gib mir das Feuerzeug.“
„Das ist doch Irrsinn. Wir verbrauchen nur das verbliebene Gas und dann bleibt es dunkel.“
„Gib mir das Feuerzeug, es gehört mir.“, Nickis Stimme klang verzweifelt.
Berg wog die Situation ab, es war manchmal besser, etwas Falsches zu tun, als gar nichts zu tun (was wirklich eine dämliche Philosophie war, aber in diesem Moment war sowieso schon alles egal).
„Hier, nimm.“, meinte er sanft, „Ich helfe dir suchen.“
Nicki zog die Nase hoch, dann meinte sie mit gefaßter Stimme, „Wir finden einen Ausweg. Sag es.“
Berg rollte die Augen, was glücklicherweise im Dunkel nicht zu sehen war, dann wiederholte er ernst, „Wir finden einen Ausweg.“
Das Feuerzeug schnappte auf und der Raum wurde etwas erhellt, Nicki rutschte auf allen Vieren durch den Unrat. Der Raum relativ groß, von der Decke hingen Kabel herab. In einer Ecke lag ein umgekippter Holzschrank, schon ziemlich morsch. Der ganze Boden war mit Staub und Betonbrocken bedeckt. Die beiden rutschten auf Knien über den Boden und wischten mit den Händen den Staub beiseite. Nicki keuchte und ihr Blick irrte unstet durch den Raum. Berg befürchtete, daß sie jeden Moment durchdrehen würde. Nicki hielt plötzlich inne, dann fuhr sie noch hektischer mit den Händen über den Boden und lachte gluckernd.
„Was ist? Dreh mir jetzt bloß nicht durch.“, Berg klang besorgt.
„Ich habe etwas gefunden. Hier ist eine Art Luke.“
„Was? Zeig her.“
Nicki rutschte beiseite und Berg half ihr den Unrat zu entfernen. Auf dem Boden war ein knapp ein Quadratmeter großes Rechteck zu sehen. Vielleicht eine Luke, vielleicht nur eine lose Betonplatte.
„Kein Griff, wie kriegen wir die auf?“, meinte Berg.
„Vielleicht gibt es irgendwo einen Hebel oder Schalter.“
„Glaub ich nicht. Ich versuch´s mal mit dem Taschenmesser.“
Berg holte sein Schweizer Messer hervor und kratzte mit der Klinge durch die Fuge rund um die Platte, dann setzte er das Messer wie einen Hebel an.
Die Platte knarrte, dann gab es ein Knacken und ein Klirren.
„Was? Was ist passiert?“
„Was schon? Die Klinge ist abgebrochen.“
„Oh nein. Und was jetzt?“
„Na, jetzt nehm ich den Flaschenöffner.“
Die Platte knarrte wieder.
„Wenn ich sie anhebe, halt sie fest.“
Es knirschte und die Platte ließ sich tatsächlich anheben, Nicki faßte zu. Berg unterstützte sie und es gelang ihnen die Platte zu fassen. Mit vereinten Kräften kanteten sie sie hoch und schoben sie zur Seite. Ein dunkles Loch gähnte sie an.
„Ein Ausgang.“, hauchte Nicki.
„Erst einmal ist das nur ein dunkles Loch im Boden, wer weiß wie tief es da runter geht.“
Nicki griff einen Betonbrocken und warf ihn hinab. Der Aufprall erfolgte sofort.
„Da unten ist Wasser.“, stellte Berg fest, „Es klingt gar nicht tief.“
„Geh du vor.“, flüsterte Nicki.
„Ich dachte mir, daß du das sagen würdest.“, schmunzelte Berg, „Ich hab eine Idee. Hast du ein Blatt Papier? Irgendwas aus Papier?“
„Warte. Nein nur meinen Führerschein und ein paar Geldscheine.“
„Wo sind die Tüten? Ich meine die Papiertüten, wo die Brote drin waren?“
„Im Rucksack und den hab ich verloren.“
Berg kramte in seiner Jacke herum, „Bleibt nur noch die Karte übrig. Ich reiße ein Stück ab.“
Er riß die Karte durch und entzündete den Papierfetzen an der Feuerzeugflamme, dann warf er ihn in den Schacht. Das brennende Papier landete zwei Meter tiefer auf rauhem Felsboden.
„Eine Höhle. Wenn wir da runtersteigen, kommen wir anschließend nicht mehr hoch.“
„Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.“, meinte Nicki.
„Bremer Stadtmusikanten.“, lachte Berg, „Na gut, ich geh vor.
„Bleib mir aber bloß nicht stecken.“, grinste Nicki frech.
„Ach was. Wo der Kopf durchgeht, geht alles durch.“, keuchte Berg, dann riß der Stoff seiner Jacke und er prallte unsanft auf dem Boden auf.
„Und? Sicher gelandet?“, flüsterte Nicki von oben.
„Ja ja. Warte mal kurz. Ich hab eine Idee. Greif dir die Platte, dann steigst du auf meine Hände und während ich dich festhalte, verschließt du die Öffnung wieder.“
„Das ist eine sehr gute Idee, Indiana Jones.“, Nicki nahm die Platte an sich, dann tauchten ihre Beine in der Luke auf. Berg hielt sie fest und mit einem satten Knall landete die Platte auf  der Luke und Nicki auf Berg. Im selben Moment erlosch das brennende Papier und es wurde wieder stockfinster.
„Hast du dir weh getan?“, fragte Nicki.
„Ja.“, meinte Berg knapp, „Aber wenn ich hier rauskomme mache ich zwei Monate Urlaub in der Karibik und kuriere mich gründlich aus.“
„Kann ich mitkommen?“
„Das mußt du sogar, sonst wird mir langweilig. Los, laß uns schleunigst hier verduften.“

Berg und Nicki befanden sich in einer natürlichen Höhle, Berg hatte seine Socken und sein Unterhemd geopfert und mit Hilfe einer verrosteten Eisenstange hatte er eine Fackel konstruiert. Die Fackel spendete (neben einem durchdringenden Geruch) ein flackerndes Licht, das trotzdem noch hell genug war um den Gang erkennen zu können. Leider brannte die Fackel nur ganze fünf Minuten, dann verglomm der letzte Funke und es war wieder finster im Stollen.
„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Nicki.
„Ich werde mit dem Feuerzeug leuchten, halt dich an mir fest und laß mich los, sollte ich irgendwo rein fallen."
„Und dann? Wenn du irgendwo reingefallen bist. Was mache ich dann ohne Feuerzeug?“
„Dann halt mich eben fest, wenn ich falle.“
Berg ließ das Feuerzeug aufschnappen und ging vorsichtig weiter, Nicki faßte ihm mit einer Hand auf die Schulter und folgte ihm.
„Ob dieser verrückte Alte schon gemerkt hat, daß wir getürmt sind?“, Berg hörte die Sorge in Nickis Stimme.
„Ich gehe jede Wette ein, daß er schon ein ganzes Dutzend seiner kleinen Monster in den Stollen gehetzt hat. Sie werden uns jeden Moment erreichen und in Stücke reißen.“
„Blödmann.“
Berg lachte leise, dann hielt er inne.
„Was ist?“, wollte Nicki wissen.
„Wasser. Irgendwo fließt Wasser.“, Berg lauschte in die Finsternis.
„Dann folgen wir dem Wasser bis ins Freie.“
„Ja ja. Ins Freie. Bei unserem Glück entdecken wir bei dem Versuch Deutschlands höchsten unterirdischen Wasserfall. Warum kann es nicht sein wie im Fernsehen?“
„Was meinst du damit?“
„Na, zum Beispiel in den Stollen klettern ohne zu fallen. Fackeln die länger brennen. Oder eine Taschenlampe.“
„Da hab ich eine Idee.“
„Und die wäre.“
„Der Fotoapparat. Wir blitzen uns den Weg hell, das müßte gehen. Die Batterien sind gerade neu.“
„Das ist eine Spitzenidee, könnte glatt von mir sein. Gib mir den Fotoapparat.“
„Warum?“
„Der Mann geht immer vor.“
„Aber nur im Fernsehen.“
Nicki ging vor und die Blitze erhellten im Abstand weniger Sekunden den Stollen. Die Hölle war geräumiger, als sie angenommen hatten. Nach einer Wegbiegung erreichten sie den unterirdischen Fluß, den sie bisher nur gehört hatten.
Sie entschieden sich, dem Fluß stromabwärts zu folgen. Schon nach wenigen Minuten nahm der Fluß die gesamte Breite des Gangs ein. Mittlerweile ging Berg wieder voraus und bediente den Fotoapparat.
„Brrrr. Das Wasser ist eiskalt.“, Nicki klapperte demonstrativ mit den Zähnen.
Berg antwortete nicht, obwohl er seit geraumer Zeit seine Zehen nicht mehr spürte.
„Wir holen uns den Tod in dieser Eisbrühe.“, jammerte Nicki weiter.
Berg wollte gerade etwas erwidern, da trat er mit dem linken Fuß ins Leere. Er ruderte wild mit den Armen, dann schlug er der Länge nach hin. Hastig sprang er wieder auf die Füße und reichte Nicki den Fotoapparat.
„Hier, mach ihn trocken. Scheiße, wofür war das denn? Hab ich mich etwa beschwert?“
„Ich kann doch nichts dafür. Ich habe dich nicht geschubst.“, stotterte Nicki.
„Dich habe ich ja auch gar nicht gemeint, sondern ihn. Ihn! Diesen Sadist! Eklige Monster, finstere Stollen, Stürze in kaltes Wasser. Ich möchte bloß wissen, was als nächstes kommt.“
Nicki blitzte einmal, „Ein Glück, er geht noch.“
„Oh nein.“
„Was, oh nein?“
„Da vorne ist der Gang zu Ende. Blitz noch mal.“
Nicki blitzte wieder und da sah sie es auch. Der unterirdische Strom verschwand gurgelnd unter einem Felsvorsprung.
„Warum kann es nicht sein wie im Fernsehen?“, klagte Berg.
„Und wenn wir tauchen? Vielleicht kommen wir im Freien raus.“
„Das ist sogar relativ wahrscheinlich. Fragt sich nur wann.“
Berg ließ das Feuerzeug aufschnappen und suchte die Felswand nach einer Öffnung über der Wasserlinie ab. Fehlanzeige, es blieb nur der Weg zurück. Nicki hockte sich hin und begann zu schluchzen, „Ich kann nicht mehr. Wir können doch nicht den ganzen Weg zurück laufen.“
Berg war am Ende mit seinem Latein, er hockte sich neben sie und zupfte sie am Ärmel, „Hey, du wirst ja ganz naß. Steh auf.“, meinte er sanft.
„Und was machen wir jetzt. Ich kann nicht mehr.“
Berg grinste im schwachen Licht der Feuerzeugflamme, „Ich tauche da durch.“
„Du willst mich hier allein lassen?“
„Nur ganz kurz.“
„Und wenn du von der Strömung weggespült wirst?“
„Ach woher denn. Dieser Bach plätschert doch nur vor sich hin.“
Berg zog seine Jacke aus, dann trat er an die Öffnung heran, „Hier nimm das Feuerzeug. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin...“
„Sag doch so was nicht.“
„Na, dann bis gleich.“
Berg atmete ein paar mal tief ein und aus, um möglichst viel Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen, dann ließ er sich mit den Füßen voran durch die Öffnung sacken. Das Wasser war eiskalt und Berg fühlte den Schock als er untertauchte. Er schloß die Augen und tastete mit den Händen über den felsigen Grund. Die Strömung war zu schwach um ihn voranzutreiben und so stieß er sich mit den Händen ab. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf, er fragte sich wie man nur etwas so Leichtsinniges und Dummes tun konnte. Blind in eine wassergefüllte Röhre zu tauchen. Plötzlich änderte sich das Geräusch des fließenden Wassers, das Berg als dumpfes Grollen wahrnahm. Er tauchte vorsichtig auf und schnappte gierig nach Luft. Es war nicht mehr ganz so dunkel wie in der Höhle und er erkannte auch warum. Er lag in einem kleinen Tümpel im Freien. Die Nachtluft fühlte sich beinahe warm an nach dem eisigen Wasser. Berg sah sich um und erkannte ein paar Bäume, eine Bank am Ufer und den Mond über sich. Er wandte sich wieder dem Höhlenausgang zu, der unter der Wasserlinie lag. Er tauchte wieder unter und tastete nach der Öffnung als etwas großes, strampelndes gegen ihn prallte. Berg faßte zu und zog die prustende Nicki über Wasser.
„Was machst du denn? Du solltest doch auf mich warten.“
Nicki hustete und wischte sich die Haare aus dem Gesicht, „Sind wir etwa im Freien.“
„Ja.“, strahlte Berg und umarmte sie, „Jetzt nichts wie raus aus der kalten Brühe und zurück in den Ort.“

Der Weg in den Ort wurde noch einmal zu einer Tortur in den nassen Kleidern, Nicki und Berg klapperten um die Wette mit den Zähnen. Nach fast zwei Stunden erreichten sie die Herberge „Waldblick“ und Berg beschleunigte seinen Schritt.
„Hey. Warte auf mich.“, keuchte Nicki und Berg blieb stehen.
Er hakte sie unter und sie umrundeten die Herberge, Nicki blieb plötzlich stehen.
„Was ist?“, wollte Berg wissen.
„Dein Auto ist weg.“
„Du hast recht, merkwürdig. Verdammt, und die Tür steht offen.“
„Ich habe Angst.“
„Hab ich auch, hier stimmt was nicht. Hast du deine Autoschlüssel?“
„Ich weiß nicht. Moment.“
„Sag nicht, sie waren im Rucksack.“
„Nein, ich hab sie.“
„Ich werde mal drinnen nachsehen.“
„Du willst da reingehen? Und wenn diese ekelhaften Tiere da drin rumlaufen?“
„Dann ist die nette, alte Wirtin mit diesen Tieren allein und irgendwie wäre das ja dann ein bißchen meine Schuld. Setz dich schon mal in den Wagen, ich sehe nur kurz nach dem Rechten.“
„Ich steige nicht allein in das Auto.“
„Warum das denn nicht?“
„Wenn da jetzt so Viecher drin sitzen.“
„Oh Mann. Warte, ich komme mit.“
Berg ging voraus und spähte in den Fiat, „Also ich seh nix. Gib mal den Schlüssel.“
Berg schloß die Tür auf und die Innenbeleuchtung ging an.
„Kannst dich reinsetzen. Keine ekligen Tiere drin.“
Nicki nahm auf dem Fahrersitz Platz und blickte nervös hinter Berg her, der sich der Herberge näherte. Sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, hastig verriegelte sie die Türen von Innen und sackte noch tiefer in den Sitz.

Berg vermied es Licht zu machen und taste sich durch das dunkle Gebäude. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und lauschte in die Finsternis. In der oberen Etage erklangen Geräusche, Dielen knarrten und Möbel wurden gerückt. Im Erdgeschoß hingegen war alles ruhig. Berg tastete sich um die Theke und in Richtung der Wohnräume. Die Jalousien waren heruntergelassen und so war es stockfinster. Berg stieß mit dem Fuß gegen einen Widerstand, etwas lag auf dem Boden. Und dann bemerkte er den Geruch. Es roch nach Blut, nach viel Blut. Berg würgte und atmete durch den Mund weiter. Auf der Treppe klang ein Geräusch auf, wie Krallen, die über harten Boden scharrten. Und dann hörte Berg das Keuchen.
Er wirbelte herum und rannte, was er konnte auf den Ausgang zu. Dicht hinter ihm erklang ein wütendes Heulen. Mit einem langen Satz war Berg im Freien.
„Wirf den Motor an!“, brüllte er und spurtete auf den Fiat zu.
Nicki sah ihn rennen und startete das Fahrzeug. Berg prallte gegen die Tür und fummelte am Öffner herum. Bei einem, fremden Auto die Tür zu öffnen war noch nie sein Spezialgebiet gewesen und so trommelte er in Panik gegen die Scheibe. Nicki stieß von innen die Tür auf, in dem Moment prallte etwas in Bergs Rücken. Er fühlte scharfe Krallen, die mühelos durch seine Jacke schnitten und Kratzer auf seinem Rücken hinterließen. Berg schrie auf und schlug nach dem Tier. Die Kreatur knurrte und schlug ihm eine Klaue in die Schulter, Berg spürte den heißen Atem in seinem Nacken. Verzweifelt warf er sich mit dem Rücken gegen die Türstrebe. Die Kreatur schnappte ins Leere und ließ los. Berg ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und schlug die Tür zu. Keine Sekunde zu früh, schon war die Kreatur wieder da und hämmerte mit den Krallen gegen die Seitenscheibe. Die Kreatur schrie voller Zorn und der Geifer sprühte gegen die Scheibe. Nicki kreischte schrill.
„Gib Gas! Los, weg hier!“, schrie Berg.
Nicki ließ die Kupplung kommen und der Wagen machte einen heftigen Satz vorwärts, dann war der Motor wieder aus. Die Kreatur war plötzlich weg, aber dann sah Berg wie wenigstens fünf dieser Monster aus der Herberge stürmten und auf den Fiat zu hielten. Nicki hatte mittlerweile den Motor wieder gestartet und nach einigen Bocksprüngen raste der Fiat mit kreischenden Reifen los.

Voll aufgeblendet raste der Wagen in den Ort, dort herrschte ein heilloses Durcheinander. Dutzende der Kreaturen bewegten sich zwischen den Häusern und in den Vorgärten. Einige verschwanden mit langen Sprüngen aus dem Scheinwerferkegel.
„Die Biester sind überall.“, kreischte Nicki und wich einem auf der Fahrbahn stehenden Wagen aus. Berg stützte sich mit den Händen am Armaturenbrett ab, als der Fiat schlingerte, „Überall zerbrochene Fensterscheiben, die Biester sind in die Häuser rein.“
„Da!“, Nicki bremste ab und deutete nach vorn. Auf dem Dorfplatz zerrten drei der Kreaturen an einer reglosen Gestalt. Es war ein älterer Mann, er trug keine Schuhe nur einen blutgetränkten Schlafanzug.
„Das ist der alte Reckhard. Diese ekelhaften Biester haben ihn umgebracht.“, Nicki trat das Gaspedal durch, die Kreaturen flohen panisch. Eine hatte Pech, ein Ruck ging durch den Fiat, als er das Monster überrollte. „Mistviech.“, knurrte Nicki und trat auf die Bremse, „Was machen wir jetzt?“
„Wir können hier gar nichts machen. Ich habe zwar eine Pistole, aber mit der kann ich keine hundert Monster in Schach halten. Ganz abgesehen davon, ich glaube nicht, daß hier jemand überlebt hat.“
Nicki stoppte den Wagen, „Wir können doch nicht einfach abhauen. Wenn nun irgendwo noch jemand auf Hilfe wartet.“
„Selbst wenn sich hier noch jemand verbarrikadiert hat, ist er immer noch... Ach du Scheiße, guck dir das mal an.“
Nickis Blick folgte Bergs ausgestrecktem Arm. Drei Autos standen auf der Fahrbahn, die Fahrer waren nicht zu sehen. Aber das war es nicht, was Berg gemeint hatte, die Reifen der Wagen waren total zerfetzt. Zweifellos hatten die Monster ihre rasiermesserscharfen Zähne an den Reifen ausprobiert.
„Kletter auf den Rücksitz, ich steuere uns hier raus.“
Nicki krabbelte auf den Rücksitz und Berg klemmte sich hinter das Steuer des Fiat. Etwas donnerte auf die Motorhaube, eine der Kreaturen war offenbar von einem Hausdach heruntergesprungen. Berg schauderte, als die Kreatur ihre weißen, pupillenlosen Augen auf ihn richtete. Das Monster stieß einen klagenden Schrei aus, dann preßte sie die geifernden Kiefer gegen die Frontscheibe. Berg stellte die Scheibenwischer an, die Kreatur zuckte zurück und starrte den Wischer an. Berg grinste. Mit wütendem Knurren griff das Monster den Wischer und riß ihn dann mit einem Ruck ab.
„Hey, ist das etwa dein Auto?“, maulte Nicki auf dem Rücksitz.
Berg legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch, die Kreatur kreischte und wurde auf den Asphalt geschleudert. Berg legte den ersten Gang ein und überrollte das Monster. Gegen jedes Tempolimit verstoßend jagte er aus dem Ort in Richtung Frankfurt.

Eine halbe Stunde später standen sie auf einem Rastplatz an der Bundesstraße, es hatte Berg einige Überzeugungsarbeit gekostet, Nicki zum Anhalten zu bewegen. Sie hatte befürchtet, die Kreatur hätte sich am Fahrzeug festgeklammert, was aber glücklicherweise nicht der Fall gewesen war. Nun stand Berg neben dem Fahrzeug und fror in seiner nassen Kleidung. Nicki kniete auf dem Rücksitz und wechselte ihre nassen Kleider, aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie fast die komplette Garderobe auf dem Rücksitz liegen gehabt. Der Wagen schaukelte heftig, dann kroch Nicki auf den Beifahrersitz, „Fertig. Hier ich hab noch einen trockenen Pullover für dich.“
„Danke.“, Berg griff nach dem Kleidungsstück und legte es auf der Motorhaube ab, dann schlüpfte er rasch aus seiner durchnäßten Jacke. Er warf seinen Pullover und das Unterhemd in den Fond des Wagens und zwängte sich in Nickis Pullover. Ihr mochte er zu groß sein, Berg kniff er jedenfalls unter den Armen. Und er roch wie ein Aschenbecher. Dafür war er aber trocken.
„Dein Rücken sieht ganz reizend aus.“, meinte Nicki ironisch und deutete auf die Kratzspuren, die die Kreatur hinterlassen hatte.
„Wir kriegen ein Gewitter.“, meinte Berg und deutete nach oben. Der Himmel war mit dunkelblauen Wolken bedeckt und es begann von Ferne zu Donnern. Es war mittlerweile so schwül, daß es nur noch eine Frage von Minuten sein konnte, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Das tat er dann auch prompt und Berg beeilte sich, wieder in den Wagen zu gelangen.
Der Regen prasselte auf das Wagendach und es wurde völlig finster. Berg lehnte sich im Fahrersitz zurück und schloß die Augen. Im Wageninneren roch es nach feuchten Kleidern und nach Zigarettenrauch. Zigarettenrauch? Berg öffnete ein Auge und spähte zu Nicki hinüber, sie hatte sich eine angesteckt.
„Stört´s dich, wenn ich rauche?“, fragte sie.
„Nein, nur zu.“, antwortete Berg, obwohl es ihn sehr wohl störte.
„Und was machen wir jetzt?“, wollte Nicki wissen.
„Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir können mit der Geschichte ja schlecht zur Polizei gehen. Und in meine Wohnung fahre ich auch nicht, dieser Alte mit seinen komischen Tieren hat bestimmt längst herausgefunden wo ich wohne.“
„Wir können uns doch nicht ewig verstecken.“
„Nein. Aber ich weiß jetzt wenigstens wo wir uns verstecken.“
„Nämlich?“
„Ein Freund von mir arbeitet in Mainz bei einer großen Chemiefirma. Soviel ich weiß ist er da auch immer noch für die Werkswohnungen zuständig. Er kann uns mit Sicherheit eine Bleibe verschaffen.“
„Und dann?“
„Dann sehen wir weiter. Der Regen läßt nach, leg dich etwas schlafen. Ich fahre nach Mainz.“
Berg startete den Motor und fuhr wieder auf die Bundesstraße.

Strelow fuhr wie ein Verrückter, er konnte den Einsatz der schwarzen Magie immer stärker fühlen. Andrea griff nervös nach dem Haltegriff über der Beifahrertür und bedachte ihren Vater mit einem vorwurfsvollen Seitenblick, „Wenn du uns in den Straßengraben beförderst, ist keinem damit geholfen.“
„Ich pass schon auf, ich...“, Strelow hielt inne, als ihnen ein Fahrzeug schleudernd und mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam. Es war ein weißer Fiat.
„Hast du dir das Kennzeichen gemerkt.“, wollte Strelow wissen. Andrea bejahte und griff nach einem kleinen Notizblock um es zu notieren.
In diesem Moment passierten sie das Ortsschild, Strelow brachte den Benz mit kreischenden Reifen zum stehen.
„Hier ist es! Sieh dir das an.“, meinte er zu Andrea.
Im Ort wimmelte es von Monstern, die aus zerbrochenen Fenstern sprangen, Autos attackierten, es lagen sogar einige Tote in den Vorgärten.
Strelow und seine Tochter entsicherten ihre Strahlwaffen und stiegen aus dem Fahrzeug.
„Wir müssen diese Kreaturen sämtlich vernichten.“, raunte er.
Andrea nickte stumm.
Mit einem lauten Pochen landete eines der Monster zwischen ihnen auf dem Dach des Benz. Andrea reagierte einen Sekundenbruchteil früher als ihr Vater. Ein nadelfeiner, blauroter Strahl erfaßte die Kreatur und setzte sie in Brand. Mit einem schrillen Todesschrei rollte die Bestie brennend über die Motorhaube. Schlagartig ruckten die Köpfe der übrigen Monster zum Ort des Geschehens. Strelow und Andrea sahen sich plötzlich von gut einem Dutzend pupillenloser Augen angestarrt. Noch verharrten die Wesen, die offenbar nach ihrem anfänglichen Erfolg von dieser plötzlichen Gegenwehr überrascht waren.
Dann hallte ein kollektiver Schrei über den leeren Platz und die Kreaturen zogen einen rasch enger werdenden Kreis um den Benz.
„Was empfiehlt das Lehrbuch in so einer Situation?“, Andrea blickte ihren Vater gehetzt an.
„Keine Gefangenen.“, gab Strelow lakonisch zurück.
Eine der Bestien setzte zum Sprung an und Strelow feuerte eine lange Salve, dabei schwenkte er den Strahler so, daß er einige der Kreaturen erfaßte. Vier der Wesen fingen Feuer und stoben kreischend auseinander. Tödlich verwundet wanden sie sich am Boden. Andrea tat es ihm nach und schickte ihrerseits einen sengenden Strahl in Reihen der Angreifer. Wieder gab es einige Tote, die Übrigen blieben unschlüssig stehen. Strelow wartete ab, bis der Strahler in seiner Hand etwas abgekühlt war, dann feuerte er abermals. Bevor Andrea ebenfalls noch einmal feuern konnte, ergriffen die restlichen Bestien heulend die Flucht.
 
 

Fortsetzung folgt....
 
 

edit: Die Fortsetzung folgte seinerzeit tatsächlich.... also falls ein Verleger Interesse hat  :-)