Kapitel 1
von Stefan M. Fels
Mitteleuropa, Deutschland im März des Jahres 1945
Versteckt in den dichten Wäldern des Taunus lag das
Loringhoven-Institut,
benannt nach seinem Gründer Dr. Martin Loringhoven.
Die amerikanische Armee rückte auf Frankfurt vor, von Westen her
näherte sich die Engländer, der Krieg war verloren. Im
Institut
herrschte ein emsiges Treiben, Männer der Waffen-SS luden
Benzinfässer
von den LKW ab und befestigten überall im und am Gebäude
Sprengsätze.
Andere verluden Akten und einige Kisten auf die LKW. Der Himmel hatte
die
Farbe von flüssigem Blei, es regnete in Strömen. Die erste
Kolonne
war schon auf dem Weg, mit den verbliebenen LKW sollten die letzten
Zivilisten
das Institut verlassen. In einem Büro im ersten Stock stand ein
hagerer
Mann mit schulterlangen weißen Haaren am Fenster und beobachtete
die Soldaten. Er trug einen weißen Laborkittel und trotz der
relativen
Wärme im Gebäude dünne Lederhandschuhe. Es klopfte
zaghaft
an die Tür. Keine Reaktion. Es klopfte wieder.
„Herein.“, herrschte der Mann.
Ein untersetzter Mann in einem weißen Kittel trat ein, „Professor
Loringhoven, die SS ist fertig mit den Vorbereitungen, kommen Sie bitte
mit zu den Fahrzeugen.“
Loringhoven drehte sich um und nahm seine Brille ab, dann setzte er
sich hinter den Schreibtisch, „Wedemeyer, sind meine Frau und meine
Söhne
in Sicherheit?“
„Sie befinden sich bereits mit einem Flugzeug auf dem Weg nach
Norwegen.
Wir warten nur noch auf Sie.“
„Sind die Stollen versiegelt? Haben Sie alle Züchtungen vernichten
lassen?“
„Das habe ich. Bitte kommen Sie jetzt mit, wir wollen abrücken.“
„Ich werde bleiben, Wedemeyer, ich werde dieses Labor nicht mehr
verlassen.“
Wedemeyer blickte seinen Mentor ungläubig an.
Der Blick Loringhovens schien in die Ferne abzuschweifen, seine Stimme
klang belegt, „Dieser Narr. Dieser wahnsinnige Hitler hat mir alles
verdorben.
Es würde noch Jahre dauern, die Kreaturen zu perfektionieren. Wir
hätten es geschafft, wenn uns nicht dieser unsinnige Krieg
dazwischen
gekommen wäre. Nun müssen noch einmal 53 Jahre vergehen, bis
die Sterne wieder so günstig stehen. Mein Sohn wird meine Arbeit
fortsetzen,
wenn er alt genug ist. Ich werde hier sterben, ich kann nichts mehr
tun.“
„Aber Professor, Ihre Frau und Ihre Kinder...“
„Gehen Sie jetzt, Wedemeyer. Und sagen sie Oberschaarführer Von
Minkoff, daß alle das Gebäude verlassen haben.“, Loringhoven
lehnte sich zurück, seine Augen glitzerten irre.
Wedemeyer schluckte, „Ja. Jawohl, Professor. Ich werde dafür
sorgen,
daß Ihr Sohn vom Werk seines Vaters erfährt.“
Wedemeyer wandte sich um und verließ hastig das Gebäude,
ein Mann in einer schwarzen Uniform trat auf ihn zu, „Sind Sie der
letzte?
Sind alle Zivilisten evakuiert?“
Wedemeyer nickte stumm, dann ging er weiter in Richtung der Lastwagen.
Von Minkoff nickte einem seiner Soldaten zu, der in gebührendem
Abstand
vom Gebäude vor einem Zünder am Boden hockte. Der Mann
entsicherte
den Griff, dann löste er die Zündung aus. Das
Loringhoven-Institut
erbebte unter einer gewaltigen Explosion, das Dachgeschoß fiel in
sich zusammen und der erste Stock brach ebenfalls ein. Eine Reihe
weiterer
Explosionen zerstörte alles innerhalb des Gebäudes, es
würde
dem Feind nicht mehr nützlich sein.
Rauch stieg auf und die letzten Soldaten bestiegen die LKW. Es war
mit einem Mal totenstill.
Dann hallte ein grauenvolles Stöhnen über die Lichtung,
daß
immer höher und schriller wurde und sich schließlich zu
einem
irren Lachen steigerte. Ein Knistern ertönte plötzlich und
weißlichblaue
Blitze zuckten über die Ruinen, das Knistern wurde lauter und
heller.
Dann bebte die Erde, hellblaue Flammen loderten grell in den Himmel.
Die
Blitze griffen rasch auf die umstehenden Bäume über und
näherten
sich dabei auch den abfahrbereiten Fahrzeugen. Unter den Soldaten
entstand
Unruhe und auch Von Minkoff wollte plötzlich gar nicht mehr
wissen,
was in diesem verfluchten Labor erforscht worden war. Die Flammen
erloschen
so rasch wie sie erschienen waren und ließen die Bäume tot
und
verdorrt aber nicht verbrannt zurück. „Abfahrt! Los, los. Weg
hier!“,
befahl Von Minkoff seinen Männern und die LKW-Kolonne ruckte an.
Als
letztes zerstörten die Sprengladungen die Straße und
ließen
einige Bäume umstürzen, niemand sollte jemals wieder hierher
zurückkehren.
Deutschland im Jahre 1998
Dr. Werner Loringhoven stieg aus seinem silbergrauen Mercedes-Jeep
und verglich das Gelände mit seiner Karte. Er befand sich auf
einem
selten benutzten Feldweg, am Waldrand. Es war später Januar, das
regnerische
Wetter der letzten Wochen hatte auch den letzten Schnee verschwinden
lassen.
Loringhoven spürte die Aura der alten Kultstätte, sie konnte
nicht weit weg sein. Er beugte sich in den Wagen, warf die Karte auf
den
Beifahrersitz und hob einen braunen Lederkoffer von der Rückbank.
Er verschloß das Fahrzeug, dann betrat er den Wald. Bereits nach
wenigen Metern war ein Durchkommen so gut wie unmöglich, hier war
der deutsche Wald noch ein richtiger Urwald. Loringhoven starrte auf
das
dichte Unterholz, hier würde er schon eine Machete brauchen. Er
hatte
keine dabei und so entnahm er der Seitentasche seines Koffers eine
Ampulle
mit einer hellgrünen, blasigen Flüssigkeit. Er öffnete
das
bronzene Scharnier, das die Ampulle an einem Ende verschloß und
spritzte
etwas von der Flüssigkeit in das dichte Geäst. Die
Sträucher
und Äste bogen sich zurück und gaben einen Weg frei, der
ständig
länger wurde. Loringhoven beschritt den neu geschaffenen Pfad, der
sich hinter ihm wieder schloß. Er lächelte, so kam man doch
schon sehr viel besser voran. Nach einigen Minuten Fußmarsch
erreichte
er eine Schlucht, die Erinnerungen kehrten zurück. Er machte sich
an den Abstieg, wobei er den schweren Lederkoffer mit einer Hand
balancierte.
Der Boden der Schlucht war weniger mit Bäumen bewachsen und durch
das fehlende Licht, war auch die übrige Vegetation nicht so
undurchdringlich.
Loringhoven bog einige Farne beiseite und hielt inne. Da waren sie: Die
Ruinen des Instituts. Ein eingestürztes Gebäude aus
Stahlbeton,
mit Moos bewachsen. Loringhoven untersuchte die Reste der Anlage,
irgendwo
mußte sich doch ein Eingang befinden. Schließlich hatte
Loringhoven
die Sucherei satt, er nahm wieder die Ampulle zur Hand. Es befand sich
noch über die Hälfte der grünen Flüssigkeit darin.
Er öffnete nochmals den Verschluß und verspritzte wieder
etwas
von dem Inhalt über die Ruinen. Sofort setzte wieder der Effekt
ein,
Moos und Strauchwerk verschwanden, nackter Beton wurde sichtbar.
Loringhoven
schloß die Augen und legte seine Zeigefinger an die
Schläfen,
er konzentrierte sich. Und dann empfing er wonach er gesucht hatte. Er
öffnet seine Augen wieder, sie leuchteten leicht grünlich,
und
sah sich um. Zwischen zwei größeren Betonbrocken war ein
blasses,
flackerndes Leuchten zu sehen. Loringhoven trat näher, er wischte
mit den Händen etwas Laub zur Seite. Ja, da war ein Einstieg. Er
konzentrierte
sich und ließ das Gestrüpp und die Erde rundherum
verschwinden.
Ein verfallener Raum wurde sichtbar, in der Mitte führte eine
verfallene
Treppe in die Tiefe. Loringhoven legte eine Hand auf das verrostete
Eisengeländer
und rüttelte daran, es knarrte und Rost rieselte zu Boden, aber es
hielt. Vorsichtig schritt er die Treppe herunter, wobei er die Ampulle
vor sich hielt, die grüne leuchtete und seinen Weg erhellte.
Loringhoven
erreichte den Fuß der Treppe, ein wenig Unrat und Erde
mußte
er noch beseitigen, dann lag ein weitverzweigtes Netz von Gängen
und
Stollen vor ihm. Er befand sich in den Kellerräumen des Instituts,
an den Wänden hingen rostige Schilder, die Schrift war nicht mehr
lesbar. Loringhoven brauchte sie nicht, er „sah“ die Spur die die
Energie
der alten Kultstätte in den Stollen hinterließ und folgte
ihr.
Das Institut war damals nicht zufällig an dieser Stelle gebaut
worden.
Sicher spielte auch die abgelegene und schwer zugängliche Lage
eine
Rolle, der Hauptgrund war jedoch die Kultstätte mit ihren
natürlichen
Gängen und Stollen. Man hatte sie zufällig im späten 19.
Jahrhundert entdeckt, als man einen Brunnen bauen wollte. Damals waren
mehrere Menschen in den Gängen verschwunden und man hatte sie
daraufhin
in Ruhe gelassen. Interessant wurden sie erst 80 Jahre später
wieder,
als Deutschland sich für den zweiten Weltkrieg rüstete. In
den
30er Jahren hatten Archäologen die unterirdischen Stollen und
Räume
untersucht und dabei unglaubliches entdeckt. Natürliche
Höhlen
waren durch Verbindungsstollen und teilweise riesige Hallen zu einer
unterirdischen
Welt ausgebaut worden, an den Wänden fand man brüchige Kabel,
die aussahen wie elektrische Leitungen, in manchen der Hallen befanden
sich verfallene Maschinen aus Metall und unheimliche Statuen. Eine der
Hallen enthielt Menschen und Tiere aus unterschiedlichen Epochen der
Geschichte,
die in Glasbehältern in einer seltsamen konservierenden
Flüssigkeit
schwammen. Unter den Tieren befanden sich einige, die noch nie ein
Mensch
gesehen hatte und der „jüngste“ Mensch in dieser morbiden Sammlung
war ein römischer Legionär. Anhand dieser Funde versuchte man
das Alter der Anlagen zu schätzen, konnte es aber nicht
präziser
als wenigstens 40.000 Jahre alt datieren. Es dauerte Jahre, alle
Geheimnisse
der unterirdischen Anlage zu erforschen und zu katalogisieren.
Erschwert
wurde diese Arbeit durch die „Bewohner“ der Stollen, behaarte Spinnen
so
groß wie Schäferhunde. Diese Tiere bevölkerten
große
Teile des Labyrinths und hatten ihre Nester entweder in Löchern im
Boden oder unter den Decken der zahllosen riesigen Hallen errichtet.
Sie
waren es auch gewesen, denen die Brunnenbauer zum Opfer gefallen waren.
Nachdem die Spinnen zwei der Archäologen „erbeutet“ hatten,
schickte
man Soldaten in die Stollen. Es dauerte nur einige Wochen, bis die
meisten
der Tiere Maschinenpistolen und Bajonetten zum Opfer gefallen waren.
Danach
waren die Stollen für Menschen sicher und die Angriffe der Spinnen
hörten auf.
Zielstrebig folgte Loringhoven der magischen Spur, sie endete in einem
Gang, der mit Trümmern angefüllt war und kaum mehr zu
passieren.
Loringhoven murmelte einige magische Wort und wurde von einer
grünen
Aura eingehüllt. Er durchdrang mühelos geborstene Balken, den
Schutt und verbogene Stahlstreben, dann stieg er eine Treppe aus
massivem
Metall hinunter, die nach all den Jahren immer noch völlig
rostfrei
war. Sie endete vor einer quadratischen Tür aus demselben
Material.
Loringhoven untersuchte die Tür, sie hatte mehrere Schlösser
und in der Mitte ein Zahlenschloß. Dieses Schloß war sein
geringstes
Problem, er griff das Metallrad und stellte die richtige Kombination
ein,
es war sein Geburtsdatum. Verblüfft stellte er fest, wie leicht
das
Rad sich nach all den Jahren noch bewegen ließ. Dann untersuchte
er vier anderen Schlösser, Loringhoven besaß drei
Schlüssel
von ganz unterschiedlichen Formaten, rasch hatte er die passenden
Schlösser
gefunden und geöffnet. Blieb noch eines übrig. Mit Magie
konnte
er es nicht öffnen, das Material aus dem man die Tür gemacht
hatte war magieresistent. Das verbliebene Schloß hatte eine
merkwürdige
Form, es sah aus wie ein Tropfen. Ein Ausdruck des Erkennens huschte
über
Loringhovens Gesicht. Er schlug seinen Mantel beiseite und nahm einen
kleinen
Dolch von seinem Gürtel, ein Artefakt, das man damals in diesen
Stollen
gefunden hatte. Er schnitt sich in den Daumen der linken Hand und
preßte
diesen dann auf das tropfenförmige Schloß. Die Temperatur
schien
sich plötzlich zu senken und Loringhoven zog seinen Daumen
zurück.
Beinahe geräuschlos öffnete sich die Tür und gab den
Blick
frei in eine lange Halle. Rechts neben der Tür führte eine
Treppe
nach oben zu einer Galerie, links befand sich eine weitere Tür.
„Endlich.“, murmelte Loringhoven, seine Augen glühten
hellgrün
in der Dunkelheit.
Gutshof Strelow, südlich von Koblenz, einige Tage später
Wolfgang Strelow zuckte zusammen, irgend etwas war passiert.
„Was ist?“, wollte Andrea, seine Tochter wissen. Die beiden saßen
im rustikal eingerichteten Wohnzimmer des Gutshofs vor dem brennenden
Kamin
und spielten Schach. Es war erst die zweite Partie an diesem Abend und
so bestand für Strelow noch die Hoffnung daß er Andrea
schlagen
konnte. Eine kleine Hoffnung zwar, aber es gab sie.
„Was ist los? Du hast doch was.“, beharrte Andrea, sie strich sich
eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.
„Irgend etwas ist passiert.“, murmelte Strelow mehr zu sich selbst,
„Ich konnte es eben fühlen. Werner. Es hat irgendwas mit Werner zu
tun. Er ist wieder da. Er ist in Vaters Labor.“
Strelow sprang auf und stieß gegen den Tisch, das Schachbrett
und die Figuren fielen zu Boden, „Dieser Wahnsinnige. Er will das Tor
öffnen.
Ich muß ihn aufhalten!“
„Was jetzt? Mitten in der Nacht?“, Andrea stand ebenfalls auf.
Strelow trat an einen massiven Eichenschrank und öffnete ein
schmales
Fach. Er zog eine Schatulle heraus und stellte sie auf den Tisch.
Andrea
hatte inzwischen die Schachfiguren wieder eingesammelt und neu auf dem
Brett angeordnet. Strelow öffnet den Verschluß der Schatulle
und schlug den Deckel zurück. Auf blauem Samt lagen zwei
faustgroße,
schwarze Waffen, die entfernt an die Phazer aus Star Trek erinnerten
und
genau um solche handelte es sich dabei.
Andrea nahm eine der Strahlwaffen in die Hand und sah ihren Vater
fragend
an.
„Ich habe sie vor einigen Tagen fertiggestellt, sie sind noch etwas
anfällig, aber sie funktionieren.“, erklärte Strelow stolz
und
nahm den anderen Strahler an sich.
„Wie hast du das Problem der starken Hitzeentwicklung gelöst?“;
fragte Andrea erstaunt, die die Entwicklung der Strahlwaffe von Anfang
an verfolgt hatte.
„Gar nicht.“, meinte Strelow etwas zerknirscht, „Das Ding wird leider
immer noch höllisch warm. Am besten man gibt nur wenige, gezielte
Schüsse ab.“
Andrea wog die Waffe in der Hand, „Ich würde sie gerne erst einmal
testen.“
„Kannst du tun.“, meinte Strelow, „Ich werde ohnehin noch eine Weile
brauchen, bis ich das Tor lokalisiert habe. Hoffentlich hält
Werner
es lange genug geöffnet.“
Mannheim, einen Tag später
Matthias Berg blickte sich suchend in seiner Wohnung um, sofern man
seine bescheidene Räumlichkeit überhaupt als Wohnung
bezeichnen
konnte. Ein winziges Bad, eine Küche und ein kombiniertes Wohn-,
Arbeits-
und Schlafzimmer, 3 winzige überfüllte Räume. Er hatte
sich
in diese „Studentenbude“ zurückgezogen, nachdem Sonja ihn
verlassen
hatte. Das war im Dezember gewesen, mittlerweile war es Ende Februar.
Berg
hatte sich ein verlängertes Wochenende genommen, um endlich einmal
auszuspannen und Abstand zu gewinnen zu den wenig erfreulichen letzten
Wochen. Anstelle seiner überfälligen Beförderung war er
in eine andere Abteilung versetzt worden und zu allem
Überfluß
mußte er sich sein neues Büro mit einem Auszubildenden
teilen.
Nicht das er etwas gegen Auszubildende oder junge Menschen im
Allgemeinen
hatte, aber Patrick Unterbrink war gelinde gesagt ein Volltrottel. Am
nützlichsten
war er, wenn er einfach nur dasaß und sich möglichst wenig
bewegte.
Berg verscheuchte den Gedanken an die Arbeit, diese vier Tage wollte er
sich erholen. Schon vor drei Wochen hatte er ein Zimmer gebucht in
einer
Pension am Fuße des kleinen Feldbergs im Taunus.
Noch einmal ging er durch seine Wohnung, die Stecker der elektrischen
Geräte waren herausgezogen, sein neuer Anrufbeantworter war
eingeschaltet
und außerdem würde er ja gerade mal vier Tage weg sein. Berg
schlüpfte in seine Jacke und nahm den Koffer und die kleine
Reisetasche.
Er verließ die Wohnung und verschloß sorgfältig die
Tür,
in dem düsteren Treppenhaus roch es wie üblich muffig, nach
Schweiß
und abgestandener Luft. Berg schwor sich noch in diesem Monat eine
erfreulichere
Bleibe zu finden. Es verging eigentlich kaum ein Tag, an dem er sich
beim
Gang durch das Treppenhaus nicht schwor schnellstens hier wegzuziehen.
So rasch es das Gewicht des Koffers zuließ ging er die Treppen
herunter,
vor dem Haus prügelten sich zwei Jugendliche. Berg ging
kopfschüttelnd
an ihnen vorbei, er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie
geschlagen.
Auf einem unbebauten Grundstück gegenüber stand sein Wagen,
ein
hellblauer Audi. Ungeschickt balancierte er seine Reisetasche auf den
Kofferraum
und begann in der Hosentasche nach seinem Autoschlüssel zu kramen.
Schließlich bekam er ihn zu fassen und schloß den
Kofferraum
auf. Er bugsierte den Koffer hinein und knallte den Deckel zu. Die
Reisetasche
stellte er auf den Beifahrersitz bevor er den Motor startete. Bevor er
anfuhr gönnte er sich noch ein Bonbon. Nachdem er durch halb
Mannheim
gekurvt war, fuhr er auf die A 67 Richtung Frankfurt. Berg fuhr gern
Auto,
er legte sich eine Kassette mit den größten Hits der Beach
Boys
ein und langte gelegentlich nach den Bonbons auf dem Beifahrersitz. Es
war auffällig wenig los auf der Autobahn und Berg konnte auf die
Tube
drücken. Wenn er dieses Tempo halten konnte, würde er in
ungefähr
dreieinhalb Stunden sein Ziel erreichen, in der Pension würde er
Alexander
Hill treffen, seinen alten Freund. Hill und er waren gemeinsam bei der
Bundeswehr gewesen, Berg hatte seine 12 Monate abgesessen und war dann
zurück zu Tego-Chemicals gegangen, während sich Hill noch
für
ein weiteres Jahr verpflichtet hatte und dann als Chemiker zu Kelter
Pharma
gegangen war. Die beiden Firmen unterhielten enge
Geschäftsbeziehungen
und so telefonierte Berg fast täglich mit Hill. Dieses Wochenende
würden sie sich amüsieren ganz wie in alten Zeiten, hatte
Hill
am Telefon gesagt. Berg schmunzelte bei dem Gedanken, Hill war mit
seinen
28 Jahren gerade mal ein Jahr älter als er selbst, und trotzdem
redete
er schon von den „alten Zeiten“. Die Sonne kam durch die Wolken und
Berg
drehte das Radio noch weiter auf. Gutgelaunt nickte er im Rhythmus von
„Fun, Fun, Fun“ und klappte die Sonnenblende herunter. Sonja
lächelte
ihn an und Berg fühlte einen Stich ins Herz. Warum hing dieses
verdammte
Foto immer noch da? Mit deutlich gedämpfter Laune löste er
das
Bild und beförderte es in die Ablage unter dem Handschuhfach. Er
nahm
sich vor dieses unerfreuliche Kapitel in seinem Leben noch an diesem
Abend
bei einigen Bier endgültig zu vergessen. Am Darmstädter Kreuz
fuhr er auf die A 5, die erheblich stärker befahren war.
Schließlich
geriet er noch in einen Stau und das Wetter, das bisher für diese
Jahreszeit ausgesprochen gut gewesen war, schlug in ein
waschechtes
Frühlingsgewitter um. Der Himmel verfinsterte sich und kurz darauf
setzte heftiger Regen ein. Berg quälte sich eine halbe Stunde
durch
den Verkehr der nicht so recht wieder in Schwung kommen wollte, dann
fuhr
er auf einen Rastplatz. Wie nicht anders zu erwarten, war er nicht der
einzige der diese Idee hatte und so beobachtet er vom Wagen aus das
Gedränge
in der Raststätte und in der Tankstelle davor. Der Strom der
Fahrzeuge
wollte nicht abreißen und die Preise an Autobahnraststätten
waren ohnehin gesalzen und so beschloß Berg anstelle eines
benzolverseuchten
Hamburgers ein selbstgeschmiertes Brot zu sich zu nehmen. Er nahm die
kleine
Plastikbox aus seiner Reisetasche und entnahm ihr eine Schnitte. Er
biß
ab und fragte sich dabei wie immer, ob eigentlich alles ein klein wenig
besser schmeckte, wenn er es nicht selbst zubereitet hatte. Vermutlich
hatte er Recht mit dieser Theorie. Er wühlte in der Reisetasche
nach
der halbleeren (für ihn waren Flaschen stets halbleer) Flasche
Mineralwasser,
es schmeckte warm und abgestanden. Für einen Moment erwog Berg den
Wagen trotz des prasselnden Regens zu verlassen und sich an der
Tankstelle
eine Dose Cola zu holen. Vermutlich wäre schon der Weg zur
Tankstelle
erfrischender als jede Dose Cola, dachte er mit einem säuerlichen
Grinsen. Er blickte zur Autobahn hinüber, der Verkehr hatte sich
ein
wenig aufgelöst und Berg beschloß seine Fahrt fortzusetzen.
Die Wischer leisteten Schwerstarbeit und Berg fragte sich ob es wohl im
Taunus auch regnete. In diesem Fall würde aus dem Wanderwochenende
eine Schlammschlacht. Aus dem Radio erklang „Then I kissed her“ und
plötzlich
war Berg der Meinung, die Beach Boys paßten nicht mehr zu dem
miesen
Wetter, er ließ das Band auswerfen und suchte in der Ablage nach
etwas „regnerischerem“.
...fanden zwei Jäger einen weiteren Toten. Wie schon der erste
Tote wurde auch dieser vermutlich von den Wölfen getötet, die
vor einer Woche aus dem Taunus-Wildpark ausgebrochen sind. Zwei der
Tiere
wurden bereits wieder eingefangen, die übrigen drei sind immer
noch...
Genervt schaltete Berg das Radio aus und murmelte, „Wölfe im
Taunus.
Genauso eine Geschichte brauche ich jetzt in meinem Urlaub.“
Er kramte weiter in der Ablage und fand ein Band mit der Musik aus
„Das Imperium schlägt zurück“, seinem erklärten
Lieblingsfilm.
Er spulte ein wenig vor und genoß den imperialen Marsch, der zwar
auch nicht zu dem Wetter passen wollte, aber die Musik die das tat,
mußte
so öde und depressiv sein, das sie nichts in Bergs Sammlung zu
suchen
hatte.
Frank Bollmann kannte die Wälder um den kleinen Feldberg wie
seine
Westentasche, er war Jäger aus Leidenschaft. Wie an fast jedem
freien
Tag war er auch heute auf der Pirsch. Er durfte noch Rotwild und einige
Hasen schießen und so hatte er sich auf einem Hochsitz in der
Nähe
der Malter-Schlucht eingerichtet. Es war noch relativ früh am
Morgen
und ein leichter Bodennebel behinderte seine Sicht. Bollmann
schloß
die obersten Knöpfe seiner Jacke und schlug den Kragen hoch, es
war
doch noch empfindlich kalt. Ein Rascheln ließ ihn aufhorchen,
irgend
etwas schlich dort unten durch die Büsche. Bollmann entsicherte
sein
Gewehr und legte auf einige niedrige Sträucher an. Von dort war
das
Rascheln gekommen. Zweige zerbrachen, das Tier näherte sich dem
Hochsitz,
Bollmann wartete.
Das war es plötzlich totenstill. „Dieses Vieh wittert mich.“,
dachte Bollmann.
Es raschelte wieder und dann konnte Bollmann es sehen. Es kam durch
die Büsche geschlichen und drehte seinen haarlosen Kopf. Dann
blickte
es Bollmann direkt in die Augen. Er glaubte verrückt zu werden, so
etwas durfte es nicht geben. Das war kein Hase oder Wildschwein, das
war
ein Monster. Braune feuchtglänzende Haut, weiße Augen ohne
Pupillen
und Reißzähne, die wie Rasierklingen aufblitzten. Bollmann
hörte
seinen eigenen Herzschlag überlaut in den Ohren dröhnen,
seine
Hände zitterten. Das Tier trat einen Schritt vor, es bewegte sich
dabei auf den Hinterbeinen, dann stieß es einen
markerschütternden
Schrei aus. Bollmann reagierte in Panik, er zielte grob in die Richtung
der Kreatur, dann drückte er ab. Der Schuß krachte los und
die
Schrotladung schlug in die niedrigen Büsche. Anscheinend hatte
Bollmann
die Kreatur erwischt, denn sie zuckte zurück und ließ wieder
einen Schrei ertönen. Dann verschwand sie im Dickicht. Bollmann
feuerte
die zweite Schrotladung ins Dickicht, dann starrte er keuchend auf die
freie Fläche vor seinem Hochstand. Es war nichts zu hören
außer
den Geräuschen des Waldes, Bollmann lud seine Flinte nach, dann
stieg
er vom Hochsitz. Er wollte nur noch eines: Raus aus diesem verfluchten
Wald! Mit zitternden Knien und sich immer wieder umsehend näherte
er sich dem Waldweg. Es war noch gut ein Kilometer bis zu seinem Wagen.
Bollmann hielt die Waffe im Anschlag und zielte nervös in das
Dickicht.
Wieder ein Rascheln! Etwas huschte rechts an ihm vorbei, immer im
Schutz
des Unterholzes. Bollmann erstarrte in der Bewegung, dann feuerte er
wieder
in die Büsche, dorthin wo er die Kreatur vermutete. Er horchte.
Und
da hörte er wieder das Knurren. Direkt hinter sich. Bollmann fuhr
herum, die Kreatur tauchte unter seinem Gewehrlauf weg und stieß
sich vom Boden ab. Bollmann feuerte noch einmal ins Leere, dann
spürte
er wie sich die Zähne der Kreatur in seinen Bauch gruben. Bollmann
wurde umgerissen, fiel auf den Rücken und schrie. Die Kreatur warf
den Kopf hin und her. Der Schmerz war unerträglich, Bollmann
kreischte,
dann hustete er Blut. Die Kreatur stieß einen langen gurgelnden
Schrei
aus, Bollmann hörte ihn nicht mehr. Sein gebrochener Blick war in
den Himmel gerichtet, nur seine Hände und Beine zuckten noch.
Ein Stück hinter Eschborn bog Berg von der Autobahn und
näherte
sich auf Landstraßen seinem Ziel, durch das schlechte Wetter und
den Stau hatte er schließlich doch noch über vier Stunden
gebraucht
um ans Ziel zu gelangen. Ohne Mühe fand er die kleine Pension und
steuerte den Audi auf den Parkplatz vor dem Haus. Sein Wagen war der
einzige,
also war Hill noch nicht da. Zur Freude von Berg war das Wetter am
Fuße
des kleinen Feldbergs wesentlich besser und die Wege waren trocken. Er
umrundete den Wagen und holte den Koffer aus dem Kofferraum, dann
schritt
er auf die Pension „Waldblick“ zu. Das zweistöckige Haus machte
einen
freundlichen Eindruck und Berg beschleunigte seinen Schritt. Er betrat
die kleine Empfangshalle, die eigentlich nur aus einem Tresen, einem
Postkartenständer
und einer Sitzgruppe bestand. Es war niemand zu sehen und Berg sah sich
nach einer Klingel oder etwas ähnlichem um. Bevor er fündig
geworden
war, trat eine grauhaarige Frau aus einem Hinterzimmer hinter die Theke
und lächelte Berg freundlich an, „Guten Tag, Sie müssen Herr
Berg sein.“
Berg erwiderte das Lächeln, „Richtig, ich habe reserviert.“
Die Wirtin nahm einen Schlüssel von dem Bord an der Wand und
reichte
ihn Berg, mit ihrem breiten hessischen Dialekt meinte sie, „Ihr Zimmer
liegt im ersten Stock, die Nummer drei mit Blick ins Tal.“
Berg bedankte sich artig und stieg die knarrende Treppe empor. Rechts
von der Treppe befand sich sein Zimmer, er öffnete die Tür
und
stellte den Koffer vor den Schrank. Dann betrat er das Badezimmer, das
tat er immer als erstes wenn er ein Hotelzimmer betrat. Das Bad war
sogar
ein wenig größer, als das in Bergs Mannheimer Wohnung.
Zufrieden
betrat er wieder das Schlafzimmer und zog die Gardine beiseite. „Blick
ins Tal.“, murmelte er, „Blick auf den Parkplatz paßt besser.“
Mit
einem müden Lächeln setzte er sich auf die Bettkante, es roch
nach frisch gewaschener Bettwäsche und Berg ließ sich nach
hinten
fallen. Er schloß die Augen und reckte sich. Hier konnte man es
aushalten,
er beschloß kurz zu duschen, wahrscheinlich würde Hill jeden
Moment eintreffen.
Das Prasseln des heißen Wassers übertönte jeden Laut
und so hörte Berg das Telefon erst beim dritten oder vierten
Klingeln.
Er stellte die Dusche ab und trat aus der Kabine, nur mit einem
Handtuch
bekleidet betrat er das Schlafzimmer. Das Telefon stand auf einer
Kommode
neben dem Fenster, Berg hob ab. Die Wirtin entschuldigte sich für
die Störung und kündigte einen Herrn Hill an.
„Was ist passiert?“, wollte Berg wissen.
„Mein Bruder hatte einen Autounfall. Heute morgen. Ich habe versucht
dich noch zu Hause zu erwischen, aber du warst wohl schon unterwegs.“
„Kein Problem, Alex. Wie geht’s denn deinem Bruder?“
„Hat Glück gehabt, ein Arm und ein Bein sind gebrochen. Ansonsten
ist er mit ein paar Schürfwunden davongekommen.“
„Na, Gott sei Dank.“
„Es tut mir leid, aber ich werde dieses Wochenende hier in Mainz
verbringen
müssen. Ein paar Verwandte sind auf dem Weg und ich möchte
jetzt
nicht einfach verschwinden.“
„Hey, das ist doch kein Problem. Bestell deinem Bruder gute Besserung
von mir.“
„Mach ich und nichts für ungut. Ich muß Schluß machen,
da ist jemand an der Tür. Also dann bis demnächst.“
„Mach’s gut, Alter.“, Berg hängte ein.
Das waren ja düstere Aussichten, ein feuchtfröhliches
Wochenende
ganz allein zu verbringen. Aber Berg verstand seinen Freund, Hill war
halber
Spanier. Er hatte ein ganz anderes, sehr viel engeres Verhältnis
zu
seiner Familie. Berg ging zurück ins Badezimmer, stellte sich noch
einmal unter die Dusche und überlegte dabei, was er aus dieser
Situation
machen sollte. Geh ich eben wandern, dachte er.
Nachdem er sich neu eingekleidet hatte, verließ Berg sein Zimmer.
In der Empfangshalle stand die Wirtin hinter dem Tresen und las in der
Zeitung. Sie blickte auf, als sie Berg hörte, „Ihr Freund hat
für
dieses Wochenende abgesagt?“
Berg nickte, „Ja, da kann man nichts machen. Dann werde ich statt
dessen
wandern gehen.“
„Nach allem was hier in den letzten Wochen passiert ist?“, die Wirtin
blickte entsetzt.
„Passiert? Was ist denn passiert?“, wollte Berg wissen.
„Im Wald geht ein Untier um. Es hat zwei Männer getötet,
einen Jäger und einen Waldarbeiter. Und im Ort erzählen sie
sich,
es wären noch weitere Menschen verschwunden, die gar nicht mehr
aufgetaucht
sind.“
„Ich habe im Radio davon gehört, angeblich sind ein paar
Wölfe
aus einem Wildpark ausgebrochen.“
„Ich kannte den alten Steinhoff, das ist der getötete
Jäger.
Er hätte sich nicht von ein paar Wölfen überrumpeln
lassen.
Nein, das war ein Untier.“
Berg zwang sich nicht zu lachen und meinte, „Naja, heute abend werde
ich sowieso nicht mehr losziehen. Ich werde mich im Ort umsehen, ein
paar
Bier trinken.“ Und eine Wanderkarte kaufen, fügte er in Gedanken
hinzu.
Die Wirtin sah ihm besorgt nach, als er die Pension verließ.
Nicki Markmann saß im Schneidersitz auf dem Bett und bediente
einen klapprigen Kassettenrecorder, der neben ihr stand. Leise erklang
eine rockige Ballade und Nicki lehnte sich mit dem Rücken gegen
die
Wand und schloß die Augen. Sie ließ die letzten Wochen noch
einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Sie war wegen allzu
häufigen
Fehlens von der Schule geflogen, dann war die Polizei da gewesen, weil
man sie zusammen mit einigen stadtbekannten Junkies aufgegriffen hatte.
Ihre Eltern hatten getobt und nur allzu begeistert zugestimmt, als man
sie in ein Arbeitsprojekt für „schwierige Jugendliche“ gesteckt
hatte.
Jetzt sollte sie in diesem Kaff ein dreiwöchiges Praktikum machen,
als Verkäuferin in einer Andenkenbude. Dafür bekam sie freie
Kost und Logis und ein wenig Taschengeld. Reckhard, der alte
Pensionswirt,
hatte schon öfters Jugendliche im Rahmen dieses Projekts
aufgenommen.
Nicki hatte nichts dagegen gehabt, mal aus Frankfurt wegzukommen,
trotzdem
fühlte sie sich in diesem Programm merkwürdig fehl am Platz.
Sie war ja schließlich keine Drogensüchtige, hatte
höchstens
mal einen Joint geraucht. Aber sei’s drum, am Morgen war sie
schließlich
mit ihrem Wagen hier angekommen. Das Ehepaar Reckhard hatte ihr dieses
Zimmer unter dem Dach gezeigt und sie hatte sich ein wenig
eingerichtet.
Dann gab es Mittagessen und anschließend hatte ihr der alte
Reckhard
die Pension gezeigt und auch den Kiosk, der etwas außerhalb lag.
Nun hockte sie seit etwas über einer Stunde in ihrem Zimmer. Ihr
Magen
knurrte, sie öffnete ein Auge und schielte auf ihre Armbanduhr. Es
war 15:40 Uhr, noch viel zu früh für das Abendessen. Nicki
langte
nach ihrem Rucksack und entnahm ihm eine Packung Butterkekse, sie
liebte
Butterkekse. Gerade hatte sie sich einen Keks genehmigt, da klopfte der
Wirt an die Tür, „Fräulein Markmann? Darf ich hereinkommen?“
Warum nicht, du Trottel? Es ist dein Haus, dachte Nicki, dann rief
sie, „Ja bitte, es ist offen.“
Reckhard trat ein, er war ein dicklicher, kleiner Mann mit weißen
Haaren und einem leicht geröteten Gesicht. Ein wenig erinnerte er
Nicki an den Coca-Cola-Weihnachtsmann.
„Ich weiß, daß sie vermutlich müde sind und das sie
offiziell erst ab morgen arbeiten“, begann er, „aber sie würden
mir
einen großen Gefallen tun, wenn sie einige Kisten aus dem Kiosk
am
Campingplatz holen könnten.“
Nicki ließ die Keksschachtel verschwinden und schwang sich vom
Bett, „Kein Problem.“
Sie nahm noch die Brille aus der Seitentasche des Rucksacks, die
brauchte
sie zum Auto fahren.
Berg folgte zu Fuß dem Schotterweg, der in den nahen Ort
führte,
es war kurz nach 16 Uhr. Etwas oberhalb des Ortes lag ein kleiner
Campingplatz,
er sah verlassen aus, die Saison begann erst in einigen Wochen. Berg
entdeckte
einen kleinen Andenkenladen, ein weißer Fiat war davor geparkt.
Interessiert
schlenderte er näher und entdeckte eine junge Frau, die sich mit
einer
Kiste abmühte.
„Warten Sie, ich fasse mit an.“, bot er an.
Die Frau sah auf und lächelte, dann trat sie von der Kiste
zurück.
Berg ging in die Hocke und hob die Kiste hoch, sie war wesentlich
schwerer
als er gedacht hatte.
„Wo soll sie hin?“, fragte er und begann dabei bereits zu spüren,
daß er nicht eben ein Fitnessfanatiker war.
„In den Kofferraum, bitte.“, antwortete die Frau und eilte zu ihrem
Wagen. Ihre Stimme klang rauh und dunkel, wahrscheinlich rauchte sie.
Sie klappte den Kofferraum auf und Berg wuchtete die Kiste hinein.
Das Fahrzeug ächzte unter dem Gewicht der Kiste und Berg
unterdrückte
ein ähnliches Geräusch als er das Gewicht los war.
„Danke, ich glaube ohne Sie hätte ich die Kiste gar nicht ins
Auto gekriegt.“, lächelte die Frau, eigentlich war sie noch ein
Mädchen,
Berg schätzte sie auf ungefähr zwanzig.
„Ganz schön schwer, was?“, grinste sie etwas verlegen.
„Ach was!“, keuchte Berg.
„Ich hab noch mehr davon drinnen in der Hütte.“
Berg verzog das Gesicht, was sie aber nicht sehen konnte, und schleppte
dann die restlichen Kisten auch noch in den Wagen. Der kleine Fiat sah
mit einem Mal aus wie tiefer gelegt.
„Was ist denn bloß da drin?“, wollte Berg wissen.
„Postkarten. Ansichtskarten. Sie sind schon älter, ich will sie
mit in den Ort nehmen und Aufkleber draufkleben. Mit unserer neuen
Adresse.“
Berg blickte sie fragend an.
„Die Karten sind schon ein paar Jahre alt. Hinten ist die Adresse von
unserem Campingplatz aufgedruckt, aber noch mit der alten Postleitzahl
und ohne Telefonnummer.“
„Haben Sie vielleicht auch Wanderkarten in ihrer Kiste, ich bin
nämlich
zum Wandern hier.“
Das Mädchen lächelte und trat in die Andenkenbude. Mit zwei
verschiedenen Karten kam sie wieder heraus, „Hier, die schenke ich
ihnen.
Für ihre Hilfe. Da ist sogar schon die neue Postleitzahl drauf.“
„Die Telefonnummer auch?“, wollte Berg wissen.
Sie grinste und zog einen Kugelschreiber aus der Tasche. Dann schrieb
sie etwas auf die Rückseite der Karte.
„Ich heiße Nicki. Wenn ich mich mal revanchieren kann, ruf mich
an.“
Berg nahm die Karte entgegen und lächelte verblüfft, dann
meinte er, „Mach ich. Ich heiße Matthias, ich habe mich oben im
„Waldblick“
eingemietet.“
„Hab ich mir gedacht. Du bist zum Wandern hier?“
„Ursprünglich wollte ich hier einen Freund treffen, aber er hat
abgesagt.“
„Und jetzt wird aus dem Partywochenende, ein Wanderwochenende.“
„Genau. Hast du ein paar Tips für mich? Ich meine, gibt es hier
besondere Plätze, alte Ruinen, oder so was?“
„Bis zur Saalburg ist es ein ganzes Stück. Ich kenn’ mich hier
auch nicht so aus. Ich bin auch erst seit heute morgen hier,
ursprünglich
komm ich aus Frankfurt. Oh, ich muß los. Ich werde im Ort
erwartet.“
„Brauchst du Hilfe um die Kisten wieder auszuladen?“
„Nein, das kann mein Chef machen. Soll ich dich mit in den Ort nehmen?“
„Nö, laß mal. Ich wollte mich ohnehin noch etwas umsehen.“
„Na, dann bis irgendwann.“
Nicki stieg in den Wagen und fuhr davon. Berg blickte auf die Karte
mit ihrer Telefonnummer und schüttelte grinsend den Kopf, „Tja,
ich
schätze, ich habe es noch nicht verlernt.“
Nach einem kurzen Fußmarsch erreichte Berg den Ort. Es
dämmerte
bereits und so beschloß er sich im Gasthaus „Eckstübchen“
(zwinker)
ein Bier zu gönnen und dann den Heimweg anzutreten. Er betrat den
Schankraum und orientierte sich kurz, im Eingangsbereich standen einige
besetzte Tische. An der gegenüberliegenden Wand befand sich die
Theke.
Berg setzte sich an einen leeren Tisch und bestellte bei der Kellnerin
ein Bier.
Sie legte ihm die Speisekarte hin und Berg fiel ein, daß er seit
dem belegten Brot am Mittag nichts mehr gegessen hatte. Er
blätterte
die Karte durch und entschied sich für Gulasch mit Reis und
Kroketten.
Die Kellnerin stellte ihm sein Bier hin und verschwand dann in der
Küche.
Berg nippte an seinem Kristallweizen und sah sich im Schankraum um, es
befanden sich fast ausnahmslos ältere Männer im Raum. Wie
überall
befanden sich die jungen Leute vermutlich in einer Diskothek in der
nächsten
Großstadt. Berg mußte an die nette Nicki denken, er zog die
Karte aus der Tasche und blickte versonnen auf den Namen mit der
Telefonnummer.
Ob das ihre richtige Nummer war? Berg sah sich keinesfalls als
Frauentyp,
dafür war er einfach zu still und verschlossen. Ein älterer
Mann
unterbrach seine Gedanken, er setzte sich zu Berg an den Tisch und
nickte
der Kellnerin zu.
„Tourist?“, wollte er von Berg wissen.
Berg bejahte und nippte wieder an seinem Bier.
Die Kellnerin erschien und brachte Berg sein Gulasch (es sah eher aus
wie Ghoul-Arsch), dem Alten stellte sie ein Bier hin.
„Guten Appetit.“, wünschte der alte Mann Berg.
„Danke.“, meinte dieser und machte sich mit großem Appetit
über
sein Essen her.
Ein weiterer Mann gesellte sich an den Tisch und die beiden alten
Herren
fragten Berg aus. Als Berg mit dem Essen fertig war, hatte er den
beiden
alles über sein geplatztes Wochenende, seinen Beruf bei Tego
Chemicals
und seine Pläne für die nächsten Tage erzählt.
„Sie wollen doch nicht wirklich wandern gehen?“, fragte einer der Alten
bestürzt.
Berg war sich mittlerweile selbst nicht mehr so ganz sicher und so
zuckte er nur die Achseln.
Der Alte wollte gerade wieder zu einer neuen Warnung ansetzen, da
öffnete
sich die Tür und ein Mann in einem dunkelgrünen Mantel
stürzte
herein. Keuchend ließ er sich am Nebentisch nieder, „Sie haben
wieder
einen gefunden. Es ist der junge Bollmann.“
„Wo?“, wollte einer der Männer wissen.
„Wo die anderen auch lagen. Bei den alten Bunkern. Er war schrecklich
zugerichtet, er war in der Mitte durchgerissen.“
Eine erregte Diskussion begann, Berg hörte eine Weile zu, dann
verließ er die Wirtschaft.
Nach der verräucherten Luft in der Gaststätte tat die
kühle
Nachtluft richtig gut. Berg atmete tief ein und machte sich dann auf
den
Weg zurück zur Pension, es war mittlerweile 21 Uhr. Bis zur
Pension
waren es ungefähr drei Kilometer und es ging stetig bergauf. Berg
mußte zähneknirschend feststellen, daß er doch kein so
toller Wanderer war. Gerade hatte er das Ortsschild passiert, da
näherte
sich ein Wagen von hinten, Berg trat zur Seite und das Fahrzeug hielt
mit
quietschenden Rädern. Berg trat aus dem Licht der Scheinwerfer und
kniff die Augen zusammen. Es war ein weißer Fiat und drin
saß
Nicki. Sie kurbelte die Scheibe herunter und Berg trat an den Wagen
heran.
„Ich muß Ihnen etwas erzählen. Bitte Steigen Sie ein.“
„Warum bleiben wir nicht beim Du.“, fragte Berg.
„Oh ja, natürlich. Ich bin wohl etwas durcheinander.“
Berg ging um den Wagen herum und ließ sich auf den Beifahrersitz
fallen. Nicki blickte ihn hektisch an, sie hielt eine Zigarette in der
Hand.
„Du kannst mich zur Pension fahren, unterwegs kannst du mir alles
erzählen.“
Nicki fuhr an, „Matthias, ich habe dieses Tier gesehen. Das Tier, das
die Waldarbeiter getötet hat.“
„Was?“
„Ich bin mir ganz sicher. Ich war noch kurz Zigaretten holen, da hab
ich gesehen, daß da etwas zwischen den Mülltonnen
herumgeschlichen
ist. Ich habe einen Stein geworfen und da ist dieses Vieh aufgetaucht.
Es war groß wie ein Dobermann, aber es lief auf den Hinterpfoten
und es hatte gar kein Fell.“
Berg blickte nur ungläubig.
„Ich sage die Wahrheit. Dieses Vieh blieb zwischen den Mülltonnen
hocken, ich bin ganz langsam weggegangen und es hat sich nicht
gerührt.
Es hat mich nur angestarrt, es hatte Augen wie weiße Kugeln, ohne
Pupillen. Dann hat es .. hat es gefaucht oder geknurrt, da bin ich nur
noch gerannt.“
„Jedenfalls bin ich dir sehr verbunden, daß du mich nicht zu
Fuß gehen läßt. Ich möchte diesem Tier nicht im
Dunklen
begegnen.“
„Machst du dir jetzt einen Spaß mit mir?“, Nicki klang verletzt.
„Nein, bestimmt nicht. Der ganze Ort spricht ja schon davon. Ich werde
mich morgen mal in den Wäldern hier umsehen.“
„Hast du denn gar keine Angst? Was wenn dieses Tier dich angreift?“
„Dann flüchte ich auf den nächsten Baum und rufe den
Hundefänger.“,
Berg grinste.
„Ich werde mitkommen.“, verkündete Nicki mit fester Stimme.
„Wenn du möchtest. Treffen wir uns morgen um 9 Uhr vor der
Pension.“
„Ich werde da sein.“, versprach sie. Mittlerweile hatten sie die
Pension
erreicht und Berg bedankte sich noch einmal für die Taxe. Nicki
winkte
ihm nervös nach und würgte dann zweimal den Wagen ab, bevor
sie
zum Ort zurückfuhr.
Berg lag noch lange wach, das mußte er erst einmal verdauen. Ein seltsames Tier tötete Jäger und Waldarbeiter und tauchte dann in der Nähe des Ortes auf. Wäre das Ganze nicht so makaber gewesen, Berg hätte es für einen Gag des Fremdenverkehrsverbands gehalten. Man mußte heutzutage sehr kreativ sein, um Touristen anzulocken. Aber es würde doch niemand drei Menschen töten um die Legende vom südhessischen „Bigfoot“ zu etablieren. Oder? Berg stellte noch seinen Reisewecker auf halb acht, dann schloß er die Augen.
Auf leisen Sohlen schlich Berg die Treppe herunter, er wollte
unbemerkt
an der neugierigen Wirtin vorbei. Die letzte Treppenstufe knarrte
unüberhörbar
und Berg hielt den Atem an.
„Herr Berg? Einen schönen guten Morgen wünsche ich. Sagten
sie nicht, sie wollten ausschlafen?“
Berg rollte mit den Augen, dann drehte er sich um und trat
lächelnd
an den Tresen heran, „Ich habe es mir anders überlegt. Ich
möchte
ein wenig spazieren gehen.“
Die Wirtin blickte ihn besorgt an, „Sie wollen wirklich in die
Wälder
gehen? Nach allem was passiert ist?“
Berg zuckte die Achseln und nickte, „Ich kann auf mich aufpassen.“
„Ich sehe, daß es Ihnen ernst ist. Warten Sie, ich gebe Ihnen
etwas mit.“, die Wirtin verschwand in einem Hinterzimmer.
Berg stellte sich vor, wie sie mit einigen Knoblauchzehen und einem
klobigen Silberkreuz wieder hervorkam. Er grinste vergnügt. Es
verging
eine Minute, dann kam die Wirtin zurück, sie hielt ein kleines
weißes
Bündel in der Hand. Berg sah sie fragend an und sie legte das
Bündel
auf den Tresen.
„Nehmen Sie sie mit, Herr Berg. Sie hat meinem Vater gehört.“
Berg zog das Tuch zurück, „Eine ...eine Pistole?“
„Sie ist geladen, nehmen Sie sie.“
„Das kann ich nicht. Ich kann doch keine scharfe Waffe mit mir
herumtragen.“
„Um Ihrer Sicherheit willen. Ich bitte Sie.“
Berg erinnerte diese Diskussion an eine Szene aus Bram Stokers
„Dracula“.
Jonathan Harker hatte das Silberkreuz von der alten Rumänin
genommen
und so steckte Berg die Pistole in seine Jackentasche und bedankte sich
bei der Wirtin. Nicki war soeben auf den Parkplatz vor dem Haus gerollt
und Berg wollte sie nicht warten lassen. Für einen Moment,
überlegte
er die Waffe gleich wieder in den Briefkasten vor dem Haus zu werfen.
Aber
er wollte die Wirtin nicht kränken und so behielt er die Pistole
bei
sich.
Nicki stieg gerade aus dem Wagen und Berg trat lächelnd auf sie
zu, „Guten Morgen, Nicki.“
„Morgen.“, antwortete sie und sah übermüdet aus.
„Na, alles kampfbereit?“, meinte Berg gutgelaunt.
„Ich hab nicht viel geschlafen letzte Nacht.“, Nicki sah wirklich nicht
sehr erholt aus.
„Wir sollten uns etwas Proviant mitnehmen.“
„Schon geschehen. Ich habe uns ein paar belegte Brote gemacht. Zwei
Flaschen Mineralwasser habe ich auch eingesteckt.“
„Super, dann kann’s von mir aus losgehen. Soll ich deinen Rucksack
nehmen?“
Nicki reichte ihm den Rucksack und Berg hängte ihn sich mit einem
Riemen über die Schulter.
„Wo gehen wir lang?“, wollte Berg wissen.
„Hast du die Karte dabei?“
„Yip.“, Berg zog die Karte aus der Jackentasche und spürte dabei
den kalten Stahl der Pistole an seiner Hand. Er breitete die Karte auf
Nickis Motorhaube aus und sie beugte sich vor. Sie orientierte sich
kurz,
dann zeigte sie auf ein langgezogenes Tal, fast schon eine Schlucht.
„Da. Da verirren sich keine Touristen hin. Früher waren da
überall
alte Bunker, aber die haben sie zugemauert.“
„Du kennst dich ja doch ziemlich gut aus hier.“
„Ich hab den alten Reckhard gefragt.“
Berg faltete die Karte zurecht und verstaute sie wieder in seiner
Tasche,
dann marschierten die beiden los. Eine Weile folgten sie dem
Schotterweg,
dann bogen sie nach links auf einen Waldweg ab. Wie lange Fangarme
ragten
die Äste der Bäume in den Weg hinein, der Weg wurde
offensichtlich
selten benutzt. Nach einer knappen Stunde lichtete sich das
Gestrüpp
zur Linken und gab den Blick frei in eine tiefe Schlucht.
„Da müssen wir runter?“, wollte Berg wissen.
„Ich war noch nie hier, aber wenn wir uns nicht böse verfranzt
haben, ist das diese Schlucht.“
Berg blickte den Abhang hinunter und war sich plötzlich gar nicht
mehr so sicher, ob er immer noch diesen Wald nach irgendwelchen
Monstern
durchstöbern sollte. Die Schlucht stand voller dichter Bäume,
die das Tageslicht geradezu verschluckten. Er tastet instinktiv nach
der
Pistole in seiner Jackentasche, deren Gewicht er während des
ganzen
Marsches unangenehm gespürt hatte. Nicki blickte ihn
erwartungsvoll
an und Berg gab sich einen Ruck.
„Wir steigen hier herunter, ich gehe vor.“, Berg bog das Gestrüpp
zur Seite und spürte wie er in Brennesseln griff.
„Sei vorsichtig, hier sind...“
„Ich hab sie gesehen.“, unterbrach ihn Nicki nicht ohne ein
schadenfrohes
Grinsen.
Berg grinste säuerlich, dann wandte er sich um und ließ
sich vorsichtig nach unten gleiten. Dabei machte er keine besonders
gute
Figur, einmal rutschte er gute fünf Meter auf Händen und
Knien
abwärts um sich dann mit einem verlegenen, „Nix passiert.“, wieder
zu fangen. Nicki kletterte geschickter als Berg, nur beim
Überwinden
von kleineren Felsspalten mußte sie sich von ihm helfen lassen.
Schließlich
hatten sie die Talsohle erreicht, wo ein kleiner Bach floß.
„Ich schlage vor, wir folgen dem Bach hier.“, meinte Berg etwas
außer
Atem.
Nicki setzte sich auf einen Felsen am Ufer, „Können wir nicht
erst einmal Rast machen?“
Berg sah auf die Uhr, es war mittlerweile halb 12, und er hatte seit
dem Frühstück nichts mehr gegessen.
„Einverstanden.“, nickte er und ließ sich ebenfalls nieder.
Er reichte Nicki den Rucksack und sie holte zwei Papiertüten
hervor,
„Leberwurst oder Blutwurst?“
„Äh, egal.“, druckste Berg.
„Das sollte ein Scherz sein.“, lachte Nicki hell auf, „Sind beide mit
Wurst und Käse belegt.“
Berg grinste erleichtert, „Puh. Ich hatte schon befürchtet.“
Die Brote schmeckten ganz ausgezeichnet und Berg verputzte alle drei,
während Nicki anderthalb aß. Frisch gestärkt folgten
die
beiden dann dem Bach stromaufwärts.
Es war wirklich finster in diesem Tal, aber wenigstens schützte
das dichte Blätterdach vor dem leichten Nieselregen, der sich in
das
Rauschen der Tannen mischte.
Plötzlich tauchte aus dem dichten Unterholz ein verfallenes
Gebäude
auf, ein völlig mit Moos bewachsener Betonbau, dessen
Obergeschoß
und Dach eingestürzt waren.
„Das ist das Loringhoven-Institut, ein Geheimlabor aus dem zweiten
Weltkrieg.“, erklärte Nicki.
„Woher weißt du das?“
„Der Bruder meines Chefs hat mir davon erzählt, er hat damals
zur Wachmannschaft gehört.“
„Was haben die hier hergestellt?“
„Das wußte er auch nicht. Man hat damals alle Unterlagen
weggeschafft
und das Labor dann gesprengt.“
Berg nickte, „Das ist interessant. Ich finde, wir sollten uns in diesem
Bau mal umsehen.“
Nicki zuckte die Achseln und folgte Berg. Der erste Stock war komplett
eingestürzt, nur eine Treppe führte noch ins Leere. Das
Erdgeschoß
bestand aus mehreren verfallenen Räumen, teilweise ohne Dach. In
einigen
Räumen stapelten sich verrostete Regale, Tische und zerschlagene
Glasbehälter.
Die Wände waren mit schmutzigen, moosbewachsenen Kacheln bedeckt.
Berg und Nicki drangen weiter in das Gebäude vor, es schien von
innen
wesentlich größer als von außen zu sein. Vermutlich
war
es teilweise in den Fels hineingebaut. Die hinteren Räume hatten
hohe,
schmale Fenster, die wie Schießscharten aussahen. Es war
düster
und Berg wandte sich an Nicki, „Hast du zufällig eine Taschenlampe
dabei.“
Nicki schüttelte den Kopf, „Nein. Aber warte, ich hab ein
Feuerzeug.“
Sie kramte in ihrer Jackentasche, dann reichte sie Berg das Feuerzeug.
Er nahm es an sich und entzündete es. Der Boden des Raums war mit
einer öligen Flüssigkeit bedeckt und die Wände waren
rußgeschwärzt.
Irgendwann hatte es in diesem Raum ein sehr heißes Feuer gegeben,
die Hitze war so stark gewesen, daß die meisten Fliesen geplatzt
und von der Wand gefallen waren. Die beiden durchquerten noch einige
Räume,
es war überall dasselbe Bild.
„Sieh mal hier.“, meinte Nicki plötzlich und deutete auf eine
Treppe die nach unten führte.
„Sollen wir runtersteigen?“, Berg stützte sich auf das verrostete
Geländer und spähte in die dunkle Öffnung.
„Wir haben keine Lampe. Wer weiß wie brüchig die Wände
und der Boden da unten sind.“
„Ach was. Die haben doch früher noch stabil gebaut. Ich werde
gehen.“
„Allein bleib ich nicht hier oben, ich komme mit.“, Nicki sah alles
andere als glücklich aus.
Berg überlegte einen Moment, ob er das Unternehmen nicht abbrechen
sollte, dann siegte die Neugier. Er stieg die Treppe hinunter, Nicki
folgte
ihm.
Berg entzündete wieder das Feuerzeug, „Ist das eine Finsternis.
Und dieser Geruch. Hoffentlich haben die hier kein Giftgas
zusammengemischt.“
„Ich würde lieber wieder nach oben gehen.“
„Einen Moment noch, ich glaube da vorne ist Licht.“
Berg löschte die Feuerzeugflamme und Nicki sah, was er gemeint
hatte. Hinter einer Ecke war tatsächlich ein Lichtschimmer, wie
schwaches
elektrisches Licht.
Vorsichtig spähte Berg um die Ecke, „Jetzt brat mir doch einer
n´Storch. Hier gibt’s Licht. Irgend jemand muß hier sein.“
„Vielleicht haben sie auch vor 50 Jahren vergessen, das Licht
auszumachen.“,
flüsterte Nicki.
„Ich hätte mir einen Fotoapparat mitnehmen sollen, hier ist doch
irgendwas im Busch.“
„Ich habe einen Fotoapparat dabei.“, zischte Nicki.
„Halt das Ding bereit, hier ist irgendwas oberfaul und hör auf
so zu keuchen.“
„A... Aber, das bin nicht ich, das....“, stotterte Nicki und ihre
Stimme
zitterte.
„Verdammt.“, fluchte Berg und tastete nach der Pistole in seiner
Tasche.
Er richtete die Mündung in den beleuchteten Gang, da kam etwas
auf sie zu.
„Auf der Treppe!“, kreischte Nicki, „Da kommt irgendwas!“
„Hier lang, renn!“, Berg zerrte Nicki hinter sich her. Hinter der
nächsten
Ecke hockte er sich hin. Er drückte Nicki das Feuerzeug in die
zitternde
Hand, „Hier, leuchte mal. Ich habe eine Pistole.“
Nicki schaffte es erst beim dritten Versuch das Feuerzeug zu
entflammen,
ihre Hände zitterten zu stark.
Berg besah sich die Pistole, er verstand wenig von Waffen. Bei der
Bundeswehr hatte er irgendwann einmal mit einer Pistole geschossen.
Irgendwie
mußte er sie durchladen, er fingerte nervös an der Waffe
herum,
dann durchschaute er den Mechanismus. Es klickte hörbar, dann
entsicherte
er die Waffe und blickte in den Gang. Nicki hatte sich dicht hinter ihn
gedrängt.
Zwei Kreaturen, wie aus einem Horrorfilm näherten sich mit kurzen
Sprüngen. Nicki hatte nicht übertrieben, die Wesen hatten
eine
hellbraune Haut, die feucht schimmerte. Ihre Augen waren weiße
Kugeln
ohne Pupillen und der Kopf lag irgendwo zwischen Bluthund und Gorilla.
Berg zielte kurz, dann drückte er ab, die vordere Kreatur
kreischte
getroffen auf und wälzte sich in wilder Raserei auf dem Boden. Die
zweite verschwand in einer offenen Tür, Berg hörte sie nur
noch
wütend knurren.
„Wir müssen raus hier. Gib mir noch mal das Feuerzeug, vielleicht
gibt es einen zweiten Ausgang.“, Berg klang unsicher. Er schlich
vorsichtig
weiter den Gang hinunter, wobei das Feuerzeug die einzige Lichtquelle
war.
Nicki hielt Bergs linke Hand so fest umklammert, das es beinahe
schmerzte.
Ihre Flucht endete in einem Raum ohne Ausgang.
„Verdammt, Sackgasse.“, schimpfte Berg und wandte sich wieder zur
Tür.
In der Tür erschien ein alter Mann in einem weißen Kittel,
flankiert von zwei der Kreaturen.
„Willkommen in meinem Institut.“, höhnte er, „Leider werden Sie
es nie mehr verlassen.“
Die Kreaturen starrten geifernd auf Nicki und Berg. Nicki holte unter
ihrem Pullover eine Kette mit einem Kreuz daran hervor, Berg wollte
schon
den Kopf schütteln, aber der unscheinbare Anhänger machte
Eindruck
auf den alten Mann und seine Monster. Er wandte den Kopf weg, die
Kreaturen
zogen sich in den Gang zurück. Berg richtete seine Waffe auf den
Alten,
„Nehmen Sie die Hände hoch und sorgen Sie dafür, daß
dieses
Viecher verschwinden.“
Der Alte lachte und schlug rasch die eiserne Tür zu, „Du Wurm.
Du sollst hier drin verfaulen.“ Berg feuerte zweimal auf die Tür
und
Nicki kreischte schrill, dann klammerte sie sich an ihn. Berg
ließ
die Waffe sinken, sie hörten wie der Schlüssel im
Schloß
gedreht wurde und das Lachen des Alten, daß sich rasch entfernte.
Dann Stille.
Es war stockfinster, Berg saß mit dem Rücken gegen die Wand
gelehnt. Nicki drückte sich noch immer an ihn.
„Das Wochenende fing schon Scheiße an, aber das hier schlägt
alles.“, Bergs Stimme klang müde.
„Was sollen wir denn jetzt machen.“, schluchzte Nicki.
„So viele Möglichkeiten gibt’s da nicht. Wir können warten,
bis dieser Irre im weißen Kittel zurückkommt und versuchen
ihn
zu überwältigen oder wir warten das uns jemand findet.“
„Da können wir lange warten, oder hast du jemand gesagt wo wir
hingehen?“
„Ich nicht. Und du?“
Nicki richtete sich ruckartig auf, „Niemand weiß, wo wir sind.
Wir müssen hier raus. Hilf mir, vielleicht gibt es hier noch einen
Ausgang.“
„Was soll das denn für ein Ausgang sein? Eine Luke im Boden mit
einem Fluchtstollen ins Freie?“
„Vielleicht eine Luke oder eine Geheimtür. Ein vermauertes
Fenster,
irgendwas. Gib mir das Feuerzeug.“
„Das ist doch Irrsinn. Wir verbrauchen nur das verbliebene Gas und
dann bleibt es dunkel.“
„Gib mir das Feuerzeug, es gehört mir.“, Nickis Stimme klang
verzweifelt.
Berg wog die Situation ab, es war manchmal besser, etwas Falsches zu
tun, als gar nichts zu tun (was wirklich eine dämliche Philosophie
war, aber in diesem Moment war sowieso schon alles egal).
„Hier, nimm.“, meinte er sanft, „Ich helfe dir suchen.“
Nicki zog die Nase hoch, dann meinte sie mit gefaßter Stimme,
„Wir finden einen Ausweg. Sag es.“
Berg rollte die Augen, was glücklicherweise im Dunkel nicht zu
sehen war, dann wiederholte er ernst, „Wir finden einen Ausweg.“
Das Feuerzeug schnappte auf und der Raum wurde etwas erhellt, Nicki
rutschte auf allen Vieren durch den Unrat. Der Raum relativ groß,
von der Decke hingen Kabel herab. In einer Ecke lag ein umgekippter
Holzschrank,
schon ziemlich morsch. Der ganze Boden war mit Staub und Betonbrocken
bedeckt.
Die beiden rutschten auf Knien über den Boden und wischten mit den
Händen den Staub beiseite. Nicki keuchte und ihr Blick irrte
unstet
durch den Raum. Berg befürchtete, daß sie jeden Moment
durchdrehen
würde. Nicki hielt plötzlich inne, dann fuhr sie noch
hektischer
mit den Händen über den Boden und lachte gluckernd.
„Was ist? Dreh mir jetzt bloß nicht durch.“, Berg klang besorgt.
„Ich habe etwas gefunden. Hier ist eine Art Luke.“
„Was? Zeig her.“
Nicki rutschte beiseite und Berg half ihr den Unrat zu entfernen. Auf
dem Boden war ein knapp ein Quadratmeter großes Rechteck zu
sehen.
Vielleicht eine Luke, vielleicht nur eine lose Betonplatte.
„Kein Griff, wie kriegen wir die auf?“, meinte Berg.
„Vielleicht gibt es irgendwo einen Hebel oder Schalter.“
„Glaub ich nicht. Ich versuch´s mal mit dem Taschenmesser.“
Berg holte sein Schweizer Messer hervor und kratzte mit der Klinge
durch die Fuge rund um die Platte, dann setzte er das Messer wie einen
Hebel an.
Die Platte knarrte, dann gab es ein Knacken und ein Klirren.
„Was? Was ist passiert?“
„Was schon? Die Klinge ist abgebrochen.“
„Oh nein. Und was jetzt?“
„Na, jetzt nehm ich den Flaschenöffner.“
Die Platte knarrte wieder.
„Wenn ich sie anhebe, halt sie fest.“
Es knirschte und die Platte ließ sich tatsächlich anheben,
Nicki faßte zu. Berg unterstützte sie und es gelang ihnen
die
Platte zu fassen. Mit vereinten Kräften kanteten sie sie hoch und
schoben sie zur Seite. Ein dunkles Loch gähnte sie an.
„Ein Ausgang.“, hauchte Nicki.
„Erst einmal ist das nur ein dunkles Loch im Boden, wer weiß
wie tief es da runter geht.“
Nicki griff einen Betonbrocken und warf ihn hinab. Der Aufprall
erfolgte
sofort.
„Da unten ist Wasser.“, stellte Berg fest, „Es klingt gar nicht tief.“
„Geh du vor.“, flüsterte Nicki.
„Ich dachte mir, daß du das sagen würdest.“, schmunzelte
Berg, „Ich hab eine Idee. Hast du ein Blatt Papier? Irgendwas aus
Papier?“
„Warte. Nein nur meinen Führerschein und ein paar Geldscheine.“
„Wo sind die Tüten? Ich meine die Papiertüten, wo die Brote
drin waren?“
„Im Rucksack und den hab ich verloren.“
Berg kramte in seiner Jacke herum, „Bleibt nur noch die Karte
übrig.
Ich reiße ein Stück ab.“
Er riß die Karte durch und entzündete den Papierfetzen an
der Feuerzeugflamme, dann warf er ihn in den Schacht. Das brennende
Papier
landete zwei Meter tiefer auf rauhem Felsboden.
„Eine Höhle. Wenn wir da runtersteigen, kommen wir
anschließend
nicht mehr hoch.“
„Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.“, meinte
Nicki.
„Bremer Stadtmusikanten.“, lachte Berg, „Na gut, ich geh vor.
„Bleib mir aber bloß nicht stecken.“, grinste Nicki frech.
„Ach was. Wo der Kopf durchgeht, geht alles durch.“, keuchte Berg,
dann riß der Stoff seiner Jacke und er prallte unsanft auf dem
Boden
auf.
„Und? Sicher gelandet?“, flüsterte Nicki von oben.
„Ja ja. Warte mal kurz. Ich hab eine Idee. Greif dir die Platte, dann
steigst du auf meine Hände und während ich dich festhalte,
verschließt
du die Öffnung wieder.“
„Das ist eine sehr gute Idee, Indiana Jones.“, Nicki nahm die Platte
an sich, dann tauchten ihre Beine in der Luke auf. Berg hielt sie fest
und mit einem satten Knall landete die Platte auf der Luke und
Nicki
auf Berg. Im selben Moment erlosch das brennende Papier und es wurde
wieder
stockfinster.
„Hast du dir weh getan?“, fragte Nicki.
„Ja.“, meinte Berg knapp, „Aber wenn ich hier rauskomme mache ich zwei
Monate Urlaub in der Karibik und kuriere mich gründlich aus.“
„Kann ich mitkommen?“
„Das mußt du sogar, sonst wird mir langweilig. Los, laß
uns schleunigst hier verduften.“
Berg und Nicki befanden sich in einer natürlichen Höhle,
Berg
hatte seine Socken und sein Unterhemd geopfert und mit Hilfe einer
verrosteten
Eisenstange hatte er eine Fackel konstruiert. Die Fackel spendete
(neben
einem durchdringenden Geruch) ein flackerndes Licht, das trotzdem noch
hell genug war um den Gang erkennen zu können. Leider brannte die
Fackel nur ganze fünf Minuten, dann verglomm der letzte Funke und
es war wieder finster im Stollen.
„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Nicki.
„Ich werde mit dem Feuerzeug leuchten, halt dich an mir fest und
laß
mich los, sollte ich irgendwo rein fallen."
„Und dann? Wenn du irgendwo reingefallen bist. Was mache ich dann ohne
Feuerzeug?“
„Dann halt mich eben fest, wenn ich falle.“
Berg ließ das Feuerzeug aufschnappen und ging vorsichtig weiter,
Nicki faßte ihm mit einer Hand auf die Schulter und folgte ihm.
„Ob dieser verrückte Alte schon gemerkt hat, daß wir
getürmt
sind?“, Berg hörte die Sorge in Nickis Stimme.
„Ich gehe jede Wette ein, daß er schon ein ganzes Dutzend seiner
kleinen Monster in den Stollen gehetzt hat. Sie werden uns jeden Moment
erreichen und in Stücke reißen.“
„Blödmann.“
Berg lachte leise, dann hielt er inne.
„Was ist?“, wollte Nicki wissen.
„Wasser. Irgendwo fließt Wasser.“, Berg lauschte in die
Finsternis.
„Dann folgen wir dem Wasser bis ins Freie.“
„Ja ja. Ins Freie. Bei unserem Glück entdecken wir bei dem Versuch
Deutschlands höchsten unterirdischen Wasserfall. Warum kann es
nicht
sein wie im Fernsehen?“
„Was meinst du damit?“
„Na, zum Beispiel in den Stollen klettern ohne zu fallen. Fackeln die
länger brennen. Oder eine Taschenlampe.“
„Da hab ich eine Idee.“
„Und die wäre.“
„Der Fotoapparat. Wir blitzen uns den Weg hell, das müßte
gehen. Die Batterien sind gerade neu.“
„Das ist eine Spitzenidee, könnte glatt von mir sein. Gib mir
den Fotoapparat.“
„Warum?“
„Der Mann geht immer vor.“
„Aber nur im Fernsehen.“
Nicki ging vor und die Blitze erhellten im Abstand weniger Sekunden
den Stollen. Die Hölle war geräumiger, als sie angenommen
hatten.
Nach einer Wegbiegung erreichten sie den unterirdischen Fluß, den
sie bisher nur gehört hatten.
Sie entschieden sich, dem Fluß stromabwärts zu folgen. Schon
nach wenigen Minuten nahm der Fluß die gesamte Breite des Gangs
ein.
Mittlerweile ging Berg wieder voraus und bediente den Fotoapparat.
„Brrrr. Das Wasser ist eiskalt.“, Nicki klapperte demonstrativ mit
den Zähnen.
Berg antwortete nicht, obwohl er seit geraumer Zeit seine Zehen nicht
mehr spürte.
„Wir holen uns den Tod in dieser Eisbrühe.“, jammerte Nicki
weiter.
Berg wollte gerade etwas erwidern, da trat er mit dem linken Fuß
ins Leere. Er ruderte wild mit den Armen, dann schlug er der Länge
nach hin. Hastig sprang er wieder auf die Füße und reichte
Nicki
den Fotoapparat.
„Hier, mach ihn trocken. Scheiße, wofür war das denn? Hab
ich mich etwa beschwert?“
„Ich kann doch nichts dafür. Ich habe dich nicht geschubst.“,
stotterte Nicki.
„Dich habe ich ja auch gar nicht gemeint, sondern ihn. Ihn! Diesen
Sadist! Eklige Monster, finstere Stollen, Stürze in kaltes Wasser.
Ich möchte bloß wissen, was als nächstes kommt.“
Nicki blitzte einmal, „Ein Glück, er geht noch.“
„Oh nein.“
„Was, oh nein?“
„Da vorne ist der Gang zu Ende. Blitz noch mal.“
Nicki blitzte wieder und da sah sie es auch. Der unterirdische Strom
verschwand gurgelnd unter einem Felsvorsprung.
„Warum kann es nicht sein wie im Fernsehen?“, klagte Berg.
„Und wenn wir tauchen? Vielleicht kommen wir im Freien raus.“
„Das ist sogar relativ wahrscheinlich. Fragt sich nur wann.“
Berg ließ das Feuerzeug aufschnappen und suchte die Felswand
nach einer Öffnung über der Wasserlinie ab. Fehlanzeige, es
blieb
nur der Weg zurück. Nicki hockte sich hin und begann zu
schluchzen,
„Ich kann nicht mehr. Wir können doch nicht den ganzen Weg
zurück
laufen.“
Berg war am Ende mit seinem Latein, er hockte sich neben sie und zupfte
sie am Ärmel, „Hey, du wirst ja ganz naß. Steh auf.“, meinte
er sanft.
„Und was machen wir jetzt. Ich kann nicht mehr.“
Berg grinste im schwachen Licht der Feuerzeugflamme, „Ich tauche da
durch.“
„Du willst mich hier allein lassen?“
„Nur ganz kurz.“
„Und wenn du von der Strömung weggespült wirst?“
„Ach woher denn. Dieser Bach plätschert doch nur vor sich hin.“
Berg zog seine Jacke aus, dann trat er an die Öffnung heran, „Hier
nimm das Feuerzeug. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin...“
„Sag doch so was nicht.“
„Na, dann bis gleich.“
Berg atmete ein paar mal tief ein und aus, um möglichst viel
Sauerstoff
in seine Lungen zu pumpen, dann ließ er sich mit den
Füßen
voran durch die Öffnung sacken. Das Wasser war eiskalt und Berg
fühlte
den Schock als er untertauchte. Er schloß die Augen und tastete
mit
den Händen über den felsigen Grund. Die Strömung war zu
schwach um ihn voranzutreiben und so stieß er sich mit den
Händen
ab. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf, er fragte sich wie man
nur etwas so Leichtsinniges und Dummes tun konnte. Blind in eine
wassergefüllte
Röhre zu tauchen. Plötzlich änderte sich das
Geräusch
des fließenden Wassers, das Berg als dumpfes Grollen wahrnahm. Er
tauchte vorsichtig auf und schnappte gierig nach Luft. Es war nicht
mehr
ganz so dunkel wie in der Höhle und er erkannte auch warum. Er lag
in einem kleinen Tümpel im Freien. Die Nachtluft fühlte sich
beinahe warm an nach dem eisigen Wasser. Berg sah sich um und erkannte
ein paar Bäume, eine Bank am Ufer und den Mond über sich. Er
wandte sich wieder dem Höhlenausgang zu, der unter der Wasserlinie
lag. Er tauchte wieder unter und tastete nach der Öffnung als
etwas
großes, strampelndes gegen ihn prallte. Berg faßte zu und
zog
die prustende Nicki über Wasser.
„Was machst du denn? Du solltest doch auf mich warten.“
Nicki hustete und wischte sich die Haare aus dem Gesicht, „Sind wir
etwa im Freien.“
„Ja.“, strahlte Berg und umarmte sie, „Jetzt nichts wie raus aus der
kalten Brühe und zurück in den Ort.“
Der Weg in den Ort wurde noch einmal zu einer Tortur in den nassen
Kleidern,
Nicki und Berg klapperten um die Wette mit den Zähnen. Nach fast
zwei
Stunden erreichten sie die Herberge „Waldblick“ und Berg beschleunigte
seinen Schritt.
„Hey. Warte auf mich.“, keuchte Nicki und Berg blieb stehen.
Er hakte sie unter und sie umrundeten die Herberge, Nicki blieb
plötzlich
stehen.
„Was ist?“, wollte Berg wissen.
„Dein Auto ist weg.“
„Du hast recht, merkwürdig. Verdammt, und die Tür steht
offen.“
„Ich habe Angst.“
„Hab ich auch, hier stimmt was nicht. Hast du deine
Autoschlüssel?“
„Ich weiß nicht. Moment.“
„Sag nicht, sie waren im Rucksack.“
„Nein, ich hab sie.“
„Ich werde mal drinnen nachsehen.“
„Du willst da reingehen? Und wenn diese ekelhaften Tiere da drin
rumlaufen?“
„Dann ist die nette, alte Wirtin mit diesen Tieren allein und irgendwie
wäre das ja dann ein bißchen meine Schuld. Setz dich schon
mal
in den Wagen, ich sehe nur kurz nach dem Rechten.“
„Ich steige nicht allein in das Auto.“
„Warum das denn nicht?“
„Wenn da jetzt so Viecher drin sitzen.“
„Oh Mann. Warte, ich komme mit.“
Berg ging voraus und spähte in den Fiat, „Also ich seh nix. Gib
mal den Schlüssel.“
Berg schloß die Tür auf und die Innenbeleuchtung ging an.
„Kannst dich reinsetzen. Keine ekligen Tiere drin.“
Nicki nahm auf dem Fahrersitz Platz und blickte nervös hinter
Berg her, der sich der Herberge näherte. Sie hatte kein gutes
Gefühl
bei der Sache, hastig verriegelte sie die Türen von Innen und
sackte
noch tiefer in den Sitz.
Berg vermied es Licht zu machen und taste sich durch das dunkle
Gebäude.
Nach wenigen Schritten blieb er stehen und lauschte in die Finsternis.
In der oberen Etage erklangen Geräusche, Dielen knarrten und
Möbel
wurden gerückt. Im Erdgeschoß hingegen war alles ruhig. Berg
tastete sich um die Theke und in Richtung der Wohnräume. Die
Jalousien
waren heruntergelassen und so war es stockfinster. Berg stieß mit
dem Fuß gegen einen Widerstand, etwas lag auf dem Boden. Und dann
bemerkte er den Geruch. Es roch nach Blut, nach viel Blut. Berg
würgte
und atmete durch den Mund weiter. Auf der Treppe klang ein
Geräusch
auf, wie Krallen, die über harten Boden scharrten. Und dann
hörte
Berg das Keuchen.
Er wirbelte herum und rannte, was er konnte auf den Ausgang zu. Dicht
hinter ihm erklang ein wütendes Heulen. Mit einem langen Satz war
Berg im Freien.
„Wirf den Motor an!“, brüllte er und spurtete auf den Fiat zu.
Nicki sah ihn rennen und startete das Fahrzeug. Berg prallte gegen
die Tür und fummelte am Öffner herum. Bei einem, fremden Auto
die Tür zu öffnen war noch nie sein Spezialgebiet gewesen und
so trommelte er in Panik gegen die Scheibe. Nicki stieß von innen
die Tür auf, in dem Moment prallte etwas in Bergs Rücken. Er
fühlte scharfe Krallen, die mühelos durch seine Jacke
schnitten
und Kratzer auf seinem Rücken hinterließen. Berg schrie auf
und schlug nach dem Tier. Die Kreatur knurrte und schlug ihm eine Klaue
in die Schulter, Berg spürte den heißen Atem in seinem
Nacken.
Verzweifelt warf er sich mit dem Rücken gegen die Türstrebe.
Die Kreatur schnappte ins Leere und ließ los. Berg ließ
sich
auf den Beifahrersitz fallen und schlug die Tür zu. Keine Sekunde
zu früh, schon war die Kreatur wieder da und hämmerte mit den
Krallen gegen die Seitenscheibe. Die Kreatur schrie voller Zorn und der
Geifer sprühte gegen die Scheibe. Nicki kreischte schrill.
„Gib Gas! Los, weg hier!“, schrie Berg.
Nicki ließ die Kupplung kommen und der Wagen machte einen
heftigen
Satz vorwärts, dann war der Motor wieder aus. Die Kreatur war
plötzlich
weg, aber dann sah Berg wie wenigstens fünf dieser Monster aus der
Herberge stürmten und auf den Fiat zu hielten. Nicki hatte
mittlerweile
den Motor wieder gestartet und nach einigen Bocksprüngen raste der
Fiat mit kreischenden Reifen los.
Voll aufgeblendet raste der Wagen in den Ort, dort herrschte ein
heilloses
Durcheinander. Dutzende der Kreaturen bewegten sich zwischen den
Häusern
und in den Vorgärten. Einige verschwanden mit langen Sprüngen
aus dem Scheinwerferkegel.
„Die Biester sind überall.“, kreischte Nicki und wich einem auf
der Fahrbahn stehenden Wagen aus. Berg stützte sich mit den
Händen
am Armaturenbrett ab, als der Fiat schlingerte, „Überall
zerbrochene
Fensterscheiben, die Biester sind in die Häuser rein.“
„Da!“, Nicki bremste ab und deutete nach vorn. Auf dem Dorfplatz
zerrten
drei der Kreaturen an einer reglosen Gestalt. Es war ein älterer
Mann,
er trug keine Schuhe nur einen blutgetränkten Schlafanzug.
„Das ist der alte Reckhard. Diese ekelhaften Biester haben ihn
umgebracht.“,
Nicki trat das Gaspedal durch, die Kreaturen flohen panisch. Eine hatte
Pech, ein Ruck ging durch den Fiat, als er das Monster überrollte.
„Mistviech.“, knurrte Nicki und trat auf die Bremse, „Was machen wir
jetzt?“
„Wir können hier gar nichts machen. Ich habe zwar eine Pistole,
aber mit der kann ich keine hundert Monster in Schach halten. Ganz
abgesehen
davon, ich glaube nicht, daß hier jemand überlebt hat.“
Nicki stoppte den Wagen, „Wir können doch nicht einfach abhauen.
Wenn nun irgendwo noch jemand auf Hilfe wartet.“
„Selbst wenn sich hier noch jemand verbarrikadiert hat, ist er immer
noch... Ach du Scheiße, guck dir das mal an.“
Nickis Blick folgte Bergs ausgestrecktem Arm. Drei Autos standen auf
der Fahrbahn, die Fahrer waren nicht zu sehen. Aber das war es nicht,
was
Berg gemeint hatte, die Reifen der Wagen waren total zerfetzt.
Zweifellos
hatten die Monster ihre rasiermesserscharfen Zähne an den Reifen
ausprobiert.
„Kletter auf den Rücksitz, ich steuere uns hier raus.“
Nicki krabbelte auf den Rücksitz und Berg klemmte sich hinter
das Steuer des Fiat. Etwas donnerte auf die Motorhaube, eine der
Kreaturen
war offenbar von einem Hausdach heruntergesprungen. Berg schauderte,
als
die Kreatur ihre weißen, pupillenlosen Augen auf ihn richtete.
Das
Monster stieß einen klagenden Schrei aus, dann preßte sie
die
geifernden Kiefer gegen die Frontscheibe. Berg stellte die
Scheibenwischer
an, die Kreatur zuckte zurück und starrte den Wischer an. Berg
grinste.
Mit wütendem Knurren griff das Monster den Wischer und riß
ihn
dann mit einem Ruck ab.
„Hey, ist das etwa dein Auto?“, maulte Nicki auf dem Rücksitz.
Berg legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch,
die Kreatur kreischte und wurde auf den Asphalt geschleudert. Berg
legte
den ersten Gang ein und überrollte das Monster. Gegen jedes
Tempolimit
verstoßend jagte er aus dem Ort in Richtung Frankfurt.
Eine halbe Stunde später standen sie auf einem Rastplatz an der
Bundesstraße, es hatte Berg einige Überzeugungsarbeit
gekostet,
Nicki zum Anhalten zu bewegen. Sie hatte befürchtet, die Kreatur
hätte
sich am Fahrzeug festgeklammert, was aber glücklicherweise nicht
der
Fall gewesen war. Nun stand Berg neben dem Fahrzeug und fror in seiner
nassen Kleidung. Nicki kniete auf dem Rücksitz und wechselte ihre
nassen Kleider, aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie fast die
komplette Garderobe auf dem Rücksitz liegen gehabt. Der Wagen
schaukelte
heftig, dann kroch Nicki auf den Beifahrersitz, „Fertig. Hier ich hab
noch
einen trockenen Pullover für dich.“
„Danke.“, Berg griff nach dem Kleidungsstück und legte es auf
der Motorhaube ab, dann schlüpfte er rasch aus seiner
durchnäßten
Jacke. Er warf seinen Pullover und das Unterhemd in den Fond des Wagens
und zwängte sich in Nickis Pullover. Ihr mochte er zu groß
sein,
Berg kniff er jedenfalls unter den Armen. Und er roch wie ein
Aschenbecher.
Dafür war er aber trocken.
„Dein Rücken sieht ganz reizend aus.“, meinte Nicki ironisch und
deutete auf die Kratzspuren, die die Kreatur hinterlassen hatte.
„Wir kriegen ein Gewitter.“, meinte Berg und deutete nach oben. Der
Himmel war mit dunkelblauen Wolken bedeckt und es begann von Ferne zu
Donnern.
Es war mittlerweile so schwül, daß es nur noch eine Frage
von
Minuten sein konnte, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Das
tat er dann auch prompt und Berg beeilte sich, wieder in den Wagen zu
gelangen.
Der Regen prasselte auf das Wagendach und es wurde völlig finster.
Berg lehnte sich im Fahrersitz zurück und schloß die Augen.
Im Wageninneren roch es nach feuchten Kleidern und nach
Zigarettenrauch.
Zigarettenrauch? Berg öffnete ein Auge und spähte zu Nicki
hinüber,
sie hatte sich eine angesteckt.
„Stört´s dich, wenn ich rauche?“, fragte sie.
„Nein, nur zu.“, antwortete Berg, obwohl es ihn sehr wohl störte.
„Und was machen wir jetzt?“, wollte Nicki wissen.
„Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir können mit der Geschichte
ja schlecht zur Polizei gehen. Und in meine Wohnung fahre ich auch
nicht,
dieser Alte mit seinen komischen Tieren hat bestimmt längst
herausgefunden
wo ich wohne.“
„Wir können uns doch nicht ewig verstecken.“
„Nein. Aber ich weiß jetzt wenigstens wo wir uns verstecken.“
„Nämlich?“
„Ein Freund von mir arbeitet in Mainz bei einer großen
Chemiefirma.
Soviel ich weiß ist er da auch immer noch für die
Werkswohnungen
zuständig. Er kann uns mit Sicherheit eine Bleibe verschaffen.“
„Und dann?“
„Dann sehen wir weiter. Der Regen läßt nach, leg dich etwas
schlafen. Ich fahre nach Mainz.“
Berg startete den Motor und fuhr wieder auf die Bundesstraße.
Strelow fuhr wie ein Verrückter, er konnte den Einsatz der
schwarzen
Magie immer stärker fühlen. Andrea griff nervös nach dem
Haltegriff über der Beifahrertür und bedachte ihren Vater mit
einem vorwurfsvollen Seitenblick, „Wenn du uns in den
Straßengraben
beförderst, ist keinem damit geholfen.“
„Ich pass schon auf, ich...“, Strelow hielt inne, als ihnen ein
Fahrzeug
schleudernd und mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam. Es war ein
weißer
Fiat.
„Hast du dir das Kennzeichen gemerkt.“, wollte Strelow wissen. Andrea
bejahte und griff nach einem kleinen Notizblock um es zu notieren.
In diesem Moment passierten sie das Ortsschild, Strelow brachte den
Benz mit kreischenden Reifen zum stehen.
„Hier ist es! Sieh dir das an.“, meinte er zu Andrea.
Im Ort wimmelte es von Monstern, die aus zerbrochenen Fenstern
sprangen,
Autos attackierten, es lagen sogar einige Tote in den Vorgärten.
Strelow und seine Tochter entsicherten ihre Strahlwaffen und stiegen
aus dem Fahrzeug.
„Wir müssen diese Kreaturen sämtlich vernichten.“, raunte
er.
Andrea nickte stumm.
Mit einem lauten Pochen landete eines der Monster zwischen ihnen auf
dem Dach des Benz. Andrea reagierte einen Sekundenbruchteil früher
als ihr Vater. Ein nadelfeiner, blauroter Strahl erfaßte die
Kreatur
und setzte sie in Brand. Mit einem schrillen Todesschrei rollte die
Bestie
brennend über die Motorhaube. Schlagartig ruckten die Köpfe
der
übrigen Monster zum Ort des Geschehens. Strelow und Andrea sahen
sich
plötzlich von gut einem Dutzend pupillenloser Augen angestarrt.
Noch
verharrten die Wesen, die offenbar nach ihrem anfänglichen Erfolg
von dieser plötzlichen Gegenwehr überrascht waren.
Dann hallte ein kollektiver Schrei über den leeren Platz und die
Kreaturen zogen einen rasch enger werdenden Kreis um den Benz.
„Was empfiehlt das Lehrbuch in so einer Situation?“, Andrea blickte
ihren Vater gehetzt an.
„Keine Gefangenen.“, gab Strelow lakonisch zurück.
Eine der Bestien setzte zum Sprung an und Strelow feuerte eine lange
Salve, dabei schwenkte er den Strahler so, daß er einige der
Kreaturen
erfaßte. Vier der Wesen fingen Feuer und stoben kreischend
auseinander.
Tödlich verwundet wanden sie sich am Boden. Andrea tat es ihm nach
und schickte ihrerseits einen sengenden Strahl in Reihen der Angreifer.
Wieder gab es einige Tote, die Übrigen blieben unschlüssig
stehen.
Strelow wartete ab, bis der Strahler in seiner Hand etwas
abgekühlt
war, dann feuerte er abermals. Bevor Andrea ebenfalls noch einmal
feuern
konnte, ergriffen die restlichen Bestien heulend die Flucht.
Fortsetzung folgt....
edit: Die Fortsetzung folgte seinerzeit tatsächlich.... also falls
ein Verleger Interesse hat :-)