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Der blinde Teufel

                                             von Stefan M. Fels
 
 
 

 „Ich habe noch heißen Kaffee in meiner Thermoskanne. Mögen Sie auch einen Becher?“
Sheryl fuhr leicht zusammen als sie angesprochen wurde, das monotone Fahrtgeräusch des
    Zuges hatte sie regelrecht hypnotisiert. Sie sah auf und erblickte Nick der unbeholfen am
Schraubverschluß der grünen Thermosflasche hantierte. Nick war Student genau wie sie
    selbst, und benutzte daher auch einen der beiden klapprigen Personenwagen, die man an
den Frachtzug von Elkedra nach Barrow Creek im Herzen Australiens angekoppelt hatte.
        „Nein Danke, Nick. Für mich bitte keinen Kaffee.“ 
Sheryl blickte aus dem Fenster, draußen raste die endlose felsige Wüste vorbei. Die Himmel
    war wolkenlos, genau wie an den übrigen 364 Tagen des Jahres. Die große Hitze des Mittags
    war zwar vorbei, aber das Thermometer an ihrer Armbanduhr zeigte immer noch stolze 34° C.
    Nick hantierte immer noch an seiner Thermoskanne herum, er studierte Theologie an der
    Universität von Perth. Schon auf dem Bahnsteig von Elkedra hatte er verstohlen zu Sheryl
    herübergeblickt und dann im Waggon auf der Bank gegenüber Platz genommen. Es hatte
    beinahe eine Stunde gedauert, bevor er das erste Wort gesagt hatte, dann aber hatte er
    geredet wie ein Wasserfall.
    Sheryl hatte sich gerade wieder ihrem Buch zugewandt als der Zug plötzlich abbremste,
    das schrille Kreischen der Bremsen erfüllte den Waggon und schließlich holperte der Zug
    einige Male und blieb dann auf freier Strecke stehen. Im Waggon wurde nervös gemurmelt
    und auf der gegenüberliegenden Seite schob ein älteres Ehepaar das Fenster nach oben
    um etwas sehen zu können. Nick griff ebenfalls nach dem Riegel des Fensters und zerrte
    daran herum, Sheryl half ihm und sie schoben das Fenster nach oben. Nick zeigte sich
    als Kavalier als er Sheryl den Vortritt ließ und sie sah aus dem Fenster. Es hatte einen
    Erdrutsch gegeben, ein Felsüberhang war weggebrochen und hatte den linken Schienenstrang
    verbogen. Obwohl der Lokführer noch abgebremst hatte war der Zug aus dem Gleis
    gesprungen.
        „So ein Käse.“, schimpfte Sheryl und machte Nick Platz, einen härteren Fluch hatte sie
    sich verbissen um den Theologiestudenten nicht zu schockieren.
    Der Zugbegleiter, ein weißhaariger Mann mit wettergegerbtem Gesicht trat in den Waggon,
        „Keine Panik, Herrschaften. Die Lok ist aus dem Gleis gesprungen, aber wir rufen über
    Mobiltelefon Hilfe herbei.“ Er nickte dem älteren Ehepaar beruhigend zu, dann betrat er
    den zweiten Passagier wagen.
    Sheryl seufzte und griff nach ihrem Strohhut, dann angelte sie unter der Sitzbank nach
    ihren Schuhen, die sie der Bequemlichkeit halber ausgezogen hatte. Nick beobachtete
    sie neugierig, „Was haben Sie vor, wollen Sie etwa hier aussteigen?“
        „Ich werde mit etwas die Füße vertreten, so heiß ist es ja nicht mehr.“
    Nick blickte ihr ratlos nach und griff wieder nach seinem Buch. Sheryl sprang aus der
    Tür des Zuges in den heißen Sand.
        „Gehen Sie nicht allzuweit vom Zug weg.“, rief ihr der Lokführer zu, der neben der entgleisten
    Lok im Schatten hockte.
    Sheryl nickte ihm zu und schlenderte zu dem abgebröckelten Fels herüber, der für den
    Unfall verantwortlich war. Ein leichter Wind wehte und sie spürte das Prickeln der feinen
    Sandkörner, die gegen ihre Arme und Beine geweht wurden. Vorsichtig kletterte sie auf den
    Felsen um sich einen Überblick über die nähere Umgebung zu verschaffen. So weit sie sehen
    konnte, nur Wüste und Felsen, so mußte es auf dem Mars aussehen. Ein Objekt in einiger
    Entfernung erregte ihre Aufmerksamkeit, dort lag etwas zwischen den Felsen, daß sich in
    seiner Farbe von der eintönigen Umgebung unterschied. Sheryl ging interessiert näher an das
    Ding heran, plötzlich nahm sie auch einen süßlichen Geruch war. Das Ding war in der flirrenden
    Hitze nicht genau zu erkennen, es sah jedoch aus wie ein totes Tier. Sheryl stieß einen leisen
    Schrei aus, als sie das Tier erreicht hatte. Es war ein totes Känguruh, eigentlich nichts
    ungewöhnliches und sicher nichts was sie nicht schon einmal gesehen hatte. Was sie jedoch
    noch nie an einem toten Känguruh gesehen hatte, waren diese grauenvollen Verletzungen,
    die den Tod des Tieres verursacht hatten. Das Känguruh wies mehrere große klaffende
    Wunden auf, die bis auf den blanken Knochen herabreichten. Sheryl wankte erschrocken
    wieder einen Schritt zurück, in den Geruch der Verwesung mischte sich noch ein weiterer
    Gestank. Es roch nach Schwefel. Sheryl bemerkte erst jetzt das Blut, das gegen die Felsen
    in der Umgebung gespritzt war und in einer großen Lache rund um den Kadaver auf dem
    Wüstenboden eingetrocknet war. Entsetzt rannte sie zum Zug zurück.

    Unter den Fahrgästen herrschte Aufregung, der Zugbegleiter hatte seine liebe Not die Leute
    zu beruhigen, „Herrschaften, bitte bewahren Sie die Ruhe. Es ist nur ein Problem mit dem
    Telefon. Selbst wenn wir Barrow Creek heute nicht mehr erreichen, werden sie uns
    spätestens morgen mit dem Flugzeug suchen und hier abholen.“
    Im diesem Moment kam Sheryl angerannt und erzählte mit vor Erregung überschnappender
    Stimme, was sie in der Wüste gesehen hatte. Der Lokführer bot ihr einen Schluck aus seinem
    Flachmann an, den sie trotz Nicks strafenden Blicks dankbar annahm. Sheryl setzte sich mit
    zitternden Knien wieder in den Waggon und sah dem Lokführer und den Männern nach, die
    sich selbst von der unheimlichen Entdeckung überzeugen wollten.
    Der ältere Herr der Sheryl schräg gegenüber saß beugte sich zu ihr herüber und flüsterte,
        „Das ist das Werk des blinden Teufels. Er verläßt nachts die Grotten unter der Wüste und
    reißt Känguruhs oder Schafe. Nur der blinde Teufel verursacht solche Verletzungen.“
        „Hören Sie auf solchen Unsinn zu reden!“, unterbrach Nick den Mann, „Sehen Sie nicht, daß
    Sie sie verängstigen?“
        „Nein, nein. Reden Sie nur weiter. Was ist das, dieser blinde Teufel?“,
    wollte Sheryl wissen, deren Neugierde geweckt war.
        „Nichts. Nur ein altes Ammenmärchen. So etwas wie der schwarze Mann.“, fuhr Nick fort.
    Sheryl sah ihn fragend an.
    Nick fuhr fort, „Es ist eine Legende. Angeblich haust in den Höhlen unter der Wüste ein Tier,
    daß eine Mischung aus einem blinden Grottenolm und Känguruh ist. Durch das Leben in der
    Dunkelheit haben sich die Augen bis auf zwei blinde weiße Kugeln zurückgebildet. Dieser
    blinde Teufel hat angeblich Klauen mit langen, spitzen Krallen und ernährt sich nur vom Blut
    seiner Opfer. Ein ausgemachter Blödsinn also.“
    Sheryl fröstelte bei dem Gedanken an eine solche Kreatur, sie blickte aus dem Fenster. Die
    Sonne versank blutrot hinter dem Horizont, nur noch wenige Minuten und sie würde ganz
    untergegangen sein. Die Männer waren noch immer nicht zurück. Nachts wurde es empfindlich
    kalt in der Wüste und so kramte sie schon einmal ihre Strickjacke aus dem Rucksack. Schließlich
    war die Sonne untergegangen und die Männer waren nicht zurückgekehrt. Die Fahrgäste
    wurden langsam nervös und verriegelten die Türen der beiden Waggons von Innen. Sheryl hörte
    wie die Fahrgäste miteinander flüsterten, das Wort „Teufel“ fiel dabei mehrmals, ein paar ältere
    Leute bekreuzigten sich. Sheryl zog rasch ihre Jacke über und rutschte vom Fenster weg in die
    äußerste Ecke der Sitzbank. Draußen war es jetzt stockfinster, nur die Lampen an der Decke
    des spendeten ein trübes Licht. Sheryl hatte gerade die Augen geschlossen, als ein langgezogenes,
    klagendes Heulen die Stille zerriß. Die Fahrgäste wurden von Minute zu Minute nervöser und
    nicht wenige begannen zu beten, selbst Nick hielt einen Rosenkranz in den zitternden Fingern.
        „Was glauben Sie, was das war? Das Ammenmärchen?“, fragte sie Nick, wobei ihre Stimme
    nicht halb so forsch klang wie sie sollte.
    Nick sah auf, er war weiß wie die Wand, „Ich muß... ich bin gleich wieder da.“, murmelte er,
    dann preßte er eine Hand auf den Mund und stürzte in Richtung der Toilette.
    Das Heulen wiederholte sich einige Male und jedesmal klang es näher und wütender. Es schien
    auch bei jedem Mal aus einer anderen Richtung zu kommen. Schließlich klang es so, als wäre
    der Zug von Dutzenden dieser unheimlichen heulenden Wesen umringt. Ein Geräusch wie das
    Reißen von Metall klang aus Richtung der Toilette, dann hörte man Nick schreien wie am Spieß.
    Urplötzlich riß der Schrei ab und erstarb in einem hohlen Röcheln. Sheryl trat vorsichtig an die Tür
    des Waschraums heran und drehte den Knauf, er war unverschlossen. Sie zog die Tür auf und
    schrie gellend auf. Nick lag in einer Ecke des Waschraums, seine Augen waren weit aufgerissen und sein
    Gesicht von dem Grauen verzerrt, das er gesehen haben mußte. Er bot einen entsetzlichen Anblick,
    körperlich war er vollkommen unversehrt, er mußte vor Angst gestorben sein. Die Außenwand des
    Waschraums war völlig zerfetzt und Sheryl glaubte in der dahinterliegenden Dunkelheit eine huschende
    Bewegung zu sehen.
    Zitternd lehnte sie sich an den schmalen Putzschrank, der sich ebenfalls in dem Waschraum befand. Das
    Heulen rund um die Waggons hatte sich mittlerweile zu einem wütenden abgehackt klingenden Kreischen
    gesteigert, dann hörte sie das Klirren von Glas. Instinktiv öffnete sie den Putzschrank und hockte sich
    hinein, aus dem Abteil klangen die Todesschreie der Fahrgäste und das entsetzliche Schmatzen der blinden
    Teufel.

        „Muß das Werk eines Irren sein.“, meinte Officer Fitzpatrick von der Grand Victoria Desert Patrol.
    O´Casey sein Deputy hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und schüttelte hilflos den Kopf, das
    Gelände rund um den Zug sah aus wie ein Schlachtfeld.
        „Wo ist diese Überlebende?“, wollte Fitzpatrick wissen.
        „Die Sanis mußten sie ruhigstellen. Das arme Ding hat den Verstand verloren, schwatzte ständig
    was von blinden Ungeheuern, die die Fahrgäste gefressen haben.“
        „Kein Wunder wenn sie mit ansehen mußte, wie all diese Leute von irgendeinem Irren abgeschlachtet
    wurden.“
    Fitzpatrick kniff die Augen zusammen und starrte in die flirrende Hitze zwischen den Felsen.
    Hatte sich dort nicht etwas bewegt?

 

                                Ende